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Archiv-Artikel

Nicht ewig dahinsiechen

Jorinde Dröse inszeniert am Thalia in der Gaußstraße virtuos Karen Duves Roman „Dies ist kein Liebeslied“ über ein übergewichtiges Mädchen zwischen Selbsthass und Liebesschmerz

Urkomisch: Eine Rienpackunkg sprechender irischer ButterTragisch und absehbar: Der Traumfrosch wird nicht zum Prinzen

von Karin Liebe

Ein dicker Brocken ist Karen Duves zweiter Roman. So ausufernd wie der 117 Kilogramm schwere Körper der Protagonistin von Dies ist kein Liebeslied. Auf 280 Seiten entwirft die in Hamburg geborene Schriftstellerin darin Stationen im Leben einer dicken Frau von der kleinen gegenseitigen Grundschulliebe zu Axel Vollauf bis zur großen unerwiderten Liebe zu Peter Helmstedt. Dazwischen: die Grauen des Sportunterrichts, Diäten, linkisch fummelnde Jungs und viele unglückliche Tage und Nächte.

Jorinde Dröse hat dieses mit sarkastischem Humor gewürzte Anti-Liebeslied jetzt gehörig verschlankt auf die Bühne des Hamburger Thalia in der Gaußstraße gebracht. Und die junge Regisseurin hat dabei alles richtig gemacht: Mit sicherem Gespür hat sie genau die richtigen Passagen herausgesucht und großzügig viele Handlungsstränge weggelassen. Das tut dem Stoff richtig gut, und die knackigen, bissigen Sätze können so richtig krachen. Etwa dann, wenn die im Stück namenlose Heldin versucht, zum Schulsportfest krank zu werden und sagt: „Das Einfachste wäre es natürlich gewesen, für immer bettlägerig zu bleiben, aber es wollte mir einfach nicht gelingen, im großen Stil dahinzusiechen.“

Auch das Konstrukt des Romans baut die Regisseurin geschickt mit Bordmitteln um. Eine Art Flugzeuginnenraum, mit gewölbter Decke, weißen Wänden, Luke und Drehtür hat die Ausstatterin Julia Scholz zum Schauplatz des Geschehens gebastelt.

Doch während Duve eine Rahmenhandlung entwirft, bei der die Ich-Erzählerin nach London zu ihrer unerfüllten Liebe fliegt und dabei Rückschau auf ihr Leben hält, verteilt Dröse die Hauptrolle auf drei Schauspielerinnen. Leila Abdullah übernimmt dabei den Part der erwachsenen Frau. Im langen weißen Folklorekleid mit Spitzenbesatz – dazu trägt sie schwarze Stiefel und eine derbe schwarze Lederjacke – verkörpert sie schon rein optisch die Widersprüchlichkeit der Heldin, die ständig zwischen romantischen Sehnsüchten und harten Sprüchen schwankt.

Nachdem Leila Abdullah ihre dick ausgestopften Beine und ausladenden Hüften in den Flugzeugsitz gezwängt hat, hält sie wenig später dem Publikum in der ersten Reihe eine Chipstüte hin. Als ein paar Zuschauer mehr oder weniger beherzt reingegriffen haben, folgt eine lautstarke Tirade auf all die Maßhaltenden, die sich immer nur einen Chip nehmen. Grässlich! Aber dann stellt sie kleinlaut und traurig fest, dass sie so gerne dünnere Beine hätte, denn „mit dünnen Beinen könnte ich es leichter ertragen, nicht geliebt zu werden“.

Der Diätenwahn fängt früh an für sie: in der Schule nämlich, als sie zum ersten Mal erfährt, wie viel sie wiegt, und dass sie das dickste Mädchen der Klasse ist. Unwillkürlich denkt man an die aktuelle Kampagne gegen übergewichtige Kinder und befürchtet, dass bald schon im Kinderhort Kalorien gezählt werden.

Katrin Wichmann, Darstellerin der dicken Heldin als Kind und Jugendliche, lässt einen die Schrecken dieser Zeit hautnah erleben. Als sie im Sportunterricht von Axel Vollauf (herrlich als spirgeliger Junge: Judith Rosmair) angewidert gefragt wird: „Warum schwabbeln bei euch Mädchen beim Laufen eigentlich so die Oberschenkel?“, schaut sie perplex, entsetzt, verletzt. In einer wunderbaren Zeitlupenszene läuft sie dann in kurzer Sporthose auf der Stelle, während Judith Rosmair dazu eine Säge vibrieren und sirren lässt – dem sanften Aneinanderschlagen von zwei Schenkeln ähnlich.

Dröse gelingt es, das „schwere“ Thema Liebesschmerz und Selbsthass leicht und locker zu inszenieren, ohne einfache Erklärungen – und ohne dass die Inszenierung zum Klamauk gerät. Sogar manche im Roman etwas pathetisch geratene Szene wandelt sie in sanfte Ironie um. Auch schräge Einfälle wie der Auftritt einer Riesenpackung streichzarter irischer Butter, die sprechen kann (auch im Roman zum Brüllen komisch), oder der Auftritt des Traummanns im Froschkostüm wirken nicht aufgesetzt lustig, sondern stimmig. Und als die Dicke ihn unverhofft doch noch ins Bett kriegt und ihre Seele „bis zu den Sternen“ reicht, wissen wir trotzdem: Der Frosch bleibt Frosch und wird nicht zum Prinzen.

Nächste Vorstellungen: 4. + 5.11., jeweils 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße