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Archiv-Artikel

Ein Schund-Magazin im Schussfeld

Mit der Geschichte über den Amoklauf eines Lehrers wollte eine Hamburger Comic-Redaktion ein bisschen gegen den guten Geschmack verstoßen. Dann kam Winnenden. Jetzt wird geprüft, ob der Inhalt strafrechtlich relevant ist

„Sie haben gewonnen“, sagt Berufsprovakteur Nagel, „auf ihrem Spielfeld zu ihren Bedingungen“

VON MATHIAS BECKER

Eigentlich möchte Karl Nagel gar nicht mit der Presse sprechen. Er möchte Geschichten schreiben und Musik machen. Und ansonsten in Ruhe gelassen werden. Einfach den Hörer auflegen, das möchte er aber auch nicht. „Klar wusste ich, dass wir in ein Wespennest stechen würden“, sagt er. Was dann geschah, konnte er nicht ahnen. Jetzt ermittelt die Kripo gegen ihn. Wegen eines Comics.

Alles fing am 1. Februar an. Die erste Ausgabe von „Die! Oder Wir“ war gedruckt und eigentlich schon auf dem Weg in die Kioske. 10.000 Exemplare sollten ausgeliefert werden, Verkaufspreis: 99 Cent. Jeder sollte die Chance haben, über „DOW“ zu stolpern. Jeder sollte sich das Heft leisten können. Einen „Prekariatscomic“, habe er machen wollen, sagt Nagel. Ein „Schundmagazin“ sei geboren, warnt „DOW“ auf dem Titel vor sich selbst. Im Internet kann man einen Blick auf die Biografie des Musikers und Publizisten Nagel werfen. Das hilft, den „DOW“-Duktus einzuordnen. Hausdurchsuchungen, Bandauftritte, Chaos-Tage: Nagel ist ein Promi in der Punk-Szene. Größter Coup: Die Gründung der „Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands“ (APPD). „Ich bin Berufsprovokateur“, sagt er.

Ein Vehikel für den Krawall sind ihm im Laufe der Jahre immer wieder Comics gewesen. Seit 1978 gibt er Magazine für Gleichgesinnte heraus, schreibt selbst Geschichten. In mancher Hinsicht ist „DOW“ eigentlich ein Heft unter vielen: Zeichnerisch und dramaturgisch gekonnt in Szene gesetzt, erzählt es haarsträubende Geschichten. In „Imperium Arche“ tun sich Punks und Nazis zusammen, um einen ganzen Wohnblock zu besetzen. „Für heute reicht’s“ erzählt von einem Lehrer, der eines Morgens in seine Schule marschiert, um sich für erlittene Demütigungen zu rächen. Indem er reihenweise Menschen über den Haufen schießt. Dabei spritzt so viel Blut wie in einem Ego-Shooter. Nur über den allerabscheulichsten Bildern liegen demonstrativ heuchlerische „Zensurbalken“. Als zu klein geratene Feigenblätter klagen sie den Voyeurismus der Medien an. „Gewalt spielt eine Rolle in unseren Geschichten“, sagt Nagel. „Aber nie um ihrer selbst willen.“

Der Bundesverband der Pressegrossisten sah das anders. Er ließ das Heft durch eine Fachkanzlei prüfen. Die Anwälte kamen zu dem Ergebnis, dass es nicht einfach so verkauft werden dürfe. Die Gewaltdarstellungen gefährdeten die Jugend. Der Zeitungsgroßhandel folgte der Empfehlung, nur wenige Exemplare fanden ihren Weg in die Kioske. Kritiker sprechen von Zensur, denn eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Man habe eine Vertriebsverantwortung, ja eine „Prüfpflicht“, verteidigt sich Presse-Grosso.

All das geschah einige Wochen vor Winnenden. Nach dem Amoklauf bekommt die Geschichte ein zweites Kapitel. Ein Mitarbeiter aus der Bremer Bildungsbehörde bekam das Heft in die Hände und leitete es an den Verfassungsschutz des Stadtstaates weiter. Dort studierte man die Publikation und entschied sich, einen Indizierungsantrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu stellen. Ihr Beschluss könnte die Entscheidung der Presse-Grosso-Anwälte bestätigen.

Doch der Bremer Verfassungsschutz ging noch weiter. Er übergab den Fall an das Landeskriminalamt, wegen des Verdachts auf strafrechtliche Relevanz. Neben den Gewaltdarstellungen geht es dabei um die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole. „Auf einem Bild sieht man ein durchgestrichenes Hakenkreuz auf einem Bus“, sagt Nagel. Selbst wenn es zu einer Anklage kommen sollte: Für eine Verurteilung reicht das wahrscheinlich nicht aus. Schließlich dürfen nach einem Beschluss des Stuttgarter Landgerichts auch Klamotten vertrieben werden, die das Hakenkreuz tragen – solange es eben durchgestrichen ist. Um so mehr verwundert das Vorgehen der Behörden in diesem Fall. Doch auch wenn die Anklage fallen gelassen wird: Der Vertriebsstopp hat ein großes Loch ein die klamme Kasse der „DOW“-Macher gerissen. Da sie es sich nicht leisten können, die Hefte Retour laufen zu lassen, warten Tausende von ihnen nun auf den Reißwolf.

Doch der finanzielle Verlust ist nur das eine. Selbst wenn es eine zweite Ausgabe des Comics geben sollte: Das zentrale künstlerische Konzept von „DOW“ war der mediale Sabotageakt. Nicht zufällig erinnern Format und Optik des Blattes an die „BILD am Sonntag“. In Springer-Camouflage wollten Nagel und seine Mannen ihre deftige Mischung aus Randale und Sarkasmus in die Mitte der Gesellschaft tragen: Chaos-Tage auf dem Papier, unauffällig im Zeitungsstand lauernd.

Dieses Experiment ist gescheitert. Die Folgeausgaben werden 1,99 Euro kosten und wieder über die klassischen Szene-Kanäle vertrieben werden. Als PDF wird man sich „DOW“ künftig weiterhin für 99 Cent herunterladen können. „Sie haben gewonnen“, sagt Nagel, „auf ihrem Spielfeld zu ihren Bedingungen.“ Er hat nicht vor, gegen das Vorgehen von Pressegrossisten und Behörden Sturm zu laufen. Gerade jetzt – nach Winnenden – verbiete es sich, das Thema für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. „Ich mache Comics. Und wenn man uns da draußen nicht will, bleiben wir eben im Ghetto.“