: Alles zurück auf Zero
Wenn man das Geld dazu hat: Die Frankfurter Schirn stellt das Künstlervideo als Miniatur vor. Zehnmal „3minutes“ wachsen sich ungewollt zu einem Wettbewerb der beauftragten Künstler aus
VON ULF ERDMANN ZIEGLER
Was die Frankfurter Schirn beweisen möchte, kann unbesehen als bewiesen durchgewinkt werden: Es ist möglich, das Endlosprogramm überzogener Künstlervideos durch ein Set von Miniaturen ad absurdum zu führen. So konsterniert war die versammelte Presse von der Einfachheit des Gedankens, zehn Künstler mit Dreiminutenbeiträgen in einer Vorführung zu vereinen, dass jemand fragte, ob es möglich wäre, das Konzept freiweg zu kopieren. Worauf Max Hollein, der Direktor, mit Wiener Charme und Chuzpe wissen ließ: Ja, wenn man dazu das Geld hat …
Vielleicht nicht beabsichtigt, aber unvermeidlich ist es, die hintereinander geschalteten Filme als Wettbewerb zu betrachten. Dabei stechen zwei Beiträge schrill heraus: der eine, der durch Abstraktion verblüfft, der andere, der die Pornografie berührt.
Der vor dreißig Jahren in Albanien geborene Anri Sala fixiert den Blick auf das Becken eines Schlagzeugs, das, von einer gelegentlich sichtbaren schwarzen Hand in Bewegung gebracht und zu einer Art Comicstrip von Schatten und Reflexen – teils auf Diskogeschwindigkeit – geschnitten wird. Dabei wirkt das absolute Schweigen auf der Tonspur als geniale Provokation: Alles zurück auf Zero.
Auch Jonas Åkerlunds Dreiminuter arbeitet mit einer Täuschung. Er wirft uns hinein in das Klischee der subproletarischen USA – Auto, Bar, Straßenrand und Motel – und lässt uns aus dem Off zwei Konfessionen hören: das Selbstbestätigungsgeplapper einer Striptänzerin (und Hure) und die vage, aber gewöhnliche Sehnsuchtsprosa eines Kindes, das, geschlossen aus dem, was man sieht, ihre Tochter wäre. Kunstgriff, allerdings: Die Stimme des Kindes ist nicht die Stimme der Darstellerin des Kindes. Das Powerkino unter der Dröhnung von Metallica saugt Honig aus dem Dokugenre. Die gezielt indiskrete Sicht auf die Stripperin als Bühnenmasturbatorin offenbart, dass mit dem bekannten Pornostar Ginger Lynn Allen das Milieu sich selbst spielt.
Und schon öffnet sich die Naht von Museum und Medium: Der Sponsor des Projekts, T-Online, hat Åkerlunds „Turn the Page“ ins Verzeichnis der Filme eingestellt, aber vom Download ausgespart. Nicht, dass die Kuratoren sich genötigt fühlten, die Journalisten auf diesen heiklen Punkt aufmerksam zu machen.
Wenn man dazu das Geld hat: Der gigantische Saal der Schirn ist mit nach innen geneigten Tüchern bespannt. Als Sitze dienen weiße gerundete Bänke ohne Lehnen. Hinten steht, mit lüsternorangefarbigen Schaumstoffnoppen bestückt, so etwas wie ein raumfüllendes Mousepad. Die Projektion kommt lautlos aus einem Nonnenhäubchen ganz von oben, deus ex machina.
Die entstofflichte Begegnung mit dem fehlerlos digitalisierten Filmmaterial lässt einen die Ohren spitzen, denn hier spricht ja noch das einzelne Werk, ohne die übliche Kakofonie der Kunstvideohalle. Yang Fudong hat für sein Gefangenenmelodram „Lock Again“ den Aufnahmesoundtrack Schnitt für Schnitt übernommen; jede Location, das wissen die Techniker, „atmet“ (und zwar anders). Ansonsten zeigen die Soundtracks auch dieser Miniaturen, wie sich das Kunstvideo von der Narration immer noch verabschiedet und von der Fusion der auditiven und visuellen Kräfte, die der „Clip“ seit zwanzig Jahren betreibt, zu Recht zurückschreckt.
Die Kuratoren haben sich gründlich umgesehen, auch beim Kurzfilmfestival in Oberhausen, dessen Leiter Lars Henrik Gass dem Katalog das Aperçu beigesteuert hat: „Der Kurzfilm ist kein Genre. Er ist kurz.“
Die Kuratoren haben also den Kurzfilmgedanken aufgegeben und sind in den Dunstkreis des Künstlerfilms zurückgekehrt, wobei sie zwei mittelmäßige Beiträge eingefahren haben: den „Trailer“ für Sarah Morris’ Film „Los Angeles“, Hollywoodabziehbildchen lassen grüßen, und einen Exzerpt aus Philippe Parrenos „The Boy From Mars“, dessen Stativaufnahme eines erhellten Zelts samt Teich bei Nacht in der Mitte des Programms eine freundliche Pause für Geistesabwesenheit bietet.
Der mit Abstand reifste Film stammt von Doug Aitken, indem er zunächst auf konstantem Licht beruht, in dem die Hautfarben der Akteure – sie murmeln im Schlaf – berauschende Exempel der menschlichen Physis darstellen. Erst gemächlich, dann enorm beschleunigt fegt Aitken mit Details der Erwachenden durch sein wohltemperiertes menschliches Inventar.
Mit Åkerlund, Morris und einer – in der Tat rührenden – Marching-Band-Studie des amerikanisch-schweizerischen Künstlerpaares Hubbard und Birchler ist dies der vierte, deutlich in der US-amerikanischen Landschaft verortete Beitrag. Dagegen ist das, was man als europäisch begreifen könnte, durch Medienzitate und „falsche“ Anschlüsse so verwischt, dass man nur noch mit Mühe darunter Europa erkennt: hier ein K.-u.-k.-Spukschloss, dort die Sniperei von Sarajevo als ketchuprotes Videospiel. Diese Formen balancieren mit viel historischem Gepäck auf einer schmalen Scholle zwischen Surrealismus und Groteske.
Die Typografie des Gesamtprogramms, Titel und Nachspann, ist übrigens uniform von der Schirn erstellt. Es ist schon erstaunlich, dass die Schrift – so wichtig in der dokumentarischen Fotografie, im erzählerischen Film und in der konzeptuellen Kunst – die Filmkünstler(innen) nicht beschäftigt. Was haben die Moonies immer behauptet: Du nutzt dein Hirn nur zu zehn Prozent? Das Künstlervideo, wie kunstvoll auch immer, ist noch weit entfernt davon, das Gesamtkunstwerk zu beerben.
Bis zum 2. Januar, neun von zehn Filmen unter: www.t-online.de/3minutes, Katalog (DuMont Verlag) 29,80 €