: Jung, schön, weiß, reich
Der wegen seiner gezielten Provokationen umstrittene US-Klamottenhersteller Abercrombie & Fitch’s erobert schleichend den deutschen Markt. Dabei gibt es gar keinen offiziellen Vertrieb
VON MARTIN REICHERT
Die Marke „Abercrombie“ kennt in Deutschland kein Mensch, zumindest offiziell. Der amerikanische Casual-Wear Hersteller Abercrombie & Fitch’s erfreut sich jedoch seit ungefähr einem Jahr allerhöchster Beliebtheit; angeschoben haben dies die des Trendsettings notorisch verdächtigen Großstadthomosexuellen. Wer eines der begehrten T-Shirts mit dem (unbedingt) gut sichtbaren „Abercrombie“-Schriftzug ergattert hat, trägt es mitunter Tag und Nacht, denn so leicht sind die Dinger nicht zu bekommen. Die Marke mit dem Elchsymbol wird in Europa nicht vertrieben, eine Direktbestellung beim Hersteller über das Internet ist wegen der Einfuhrzölle zu teuer und kommt daher für smarte Shopper nicht wirklich in Frage.
Die Präsenz „Abercrombie“-beschrifteter Homosexueller in den einschlägigen Lokalen der Großstädte beweist jedoch einmal mehr, dass es keine Probleme gibt, sondern nur Lösungen: Die coole Ware aus den Staaten wird mit der Lufthansa direkt aus den Stores in New York und Miami, den beliebtesten US-Reisezielen der Schwulen, nach Deutschland „mitgebracht“, für den Freundeskreis – oder, um sie gewinnbringend bei eBay zu verkaufen. Das Tragen von „Abercrombie“-Klamotten ist hip, weil es aufgrund der schwierigen Beschaffungslage Exklusivität verheißt und dem Erscheinungsbild gleichzeitig eine transatlantische Note verheißt: gestern noch Long Island, heute schon wieder Hackescher Markt.
Der „Abercrombie“-Hype in Deutschland existiert seit ungefähr einem Jahr und hat auf die anverwandten Milieus der „Kreativbranche“ übergegriffen, auch Nachwuchswerber setzen auf die jugendliche Frische verheißenden Klamotten. Wer möchte schon seinen unbezahlten Praktikumsplatz verlieren, bloß weil das Äußere nicht den Erwartungshaltungen der Alteingesessenen entspricht: immer die Nase vorn, schneller sein als die anderen.
Wer bedauerlicherweise keinen Flugbegleiter kennt, muss eben zu eBay, denn dort blüht der Handel mit privat importierten Abercrombie-Polohemden und den berüchtigten „Humor Tees“ („Photographers do it in Darkrooms“), die in den Staaten mehrfach für Skandale gesorgt haben. Ein T-Shirt zeigte zwei chinesische Wäschereiangestellte mit dem Slogan „Two Wongs can make it White“, Proteste der asiatischen Amerikaner zwangen Abercrombie & Fitch’s, die Klamotte wieder vom Markt zu nehmen. Ein anderes Mal beschwerte sich der Gouverneur von West Virginia, weil er seine Landsleute durch das T-Shirt „It’s all relative in West Virginia“ beleidigt sah, eine doppelbödige Anspielung auf das populäre Vorurteil, dass in diesem Bundesstaat alle durch Inzest miteinander verwandt seien.
Kein Wunder, dass Werber auf diese Marke fliegen, solch Kampagnen begleitenden Wirbel hätte man schließlich auch gerne. „Abercrombie“ hat es sogar geschafft, eine Kampagne gegen sich ins Leben zu rufen: Die „National Coalition for the Protection of Children & Families“ betreibt eine Anti-Schmutz-&-Schund-Kampagne gegen den Hersteller, weil dieser in seinem letzten Winterkatalog sexuelle Promiskuität propagiert habe. Auf Fotos der in den über 600 Filialen vertriebenen Zeitung magalog, einer Kombination aus Katalog und Lifestyle-Magazin, waren College-Studenten beim Rudelwichsen und in Gruppensexszenen zu sehen gewesen, zumindest angedeutet. Abercrombie & Fitch’s hatte erfolgreich die Tendenz zur Vermischung von Pop und Porno aufgegriffen, die Amerikas Teenager und Twentysomethings seit einiger Zeit ergriffen hat und ihre puritanischen Eltern auf die Palme treibt.
Dabei war Abercrombie & Fitch’s dereinst ein Wasp-(White Anglo-Saxon Protestant-)Traditionshersteller, bei dem sich unter anderem Teddy Roosevelt, John F. Kennedy und Ernest Hemingway für das Wochenende ausgerüstet hatten. Nach Fastpleite und Umstrukturierung ist die Firma mit ihrem „All American“-Look völlig auf junge Menschen ausgerichtet, allerdings vornehmlich auf weiße Mittel- und Oberschichtkids. Die alte Wasp-Kultur hat ausgedient, nun sind die BoBoS am Ruder, die „Bourgeois Bohemians“. Gut ausgebildete junge Menschen, die den Stil der Boheme, zum dem immer auch sexuelle Freizügigkeit gehört hat, zum Mainstream der oberen Mittelschicht gemacht haben. BoBos legen keinen Wert auf traditionelle Statussymbole bzw. Insignien der Macht. Die neue Attitüde ist postmateriell – was nicht bedeutet, dass die demonstrativ getragenen simplen T-Shirts auch wirklich billig sind. Im Gegenteil.
Die Abercrombie-Zielgruppe bildet eine Einheit mit den regelrecht gecasteten VerkäuferInnen in den hyperchicen Filialen und den Models der Werbekampagnen: Blond, groß, blauäugig, sportlich soll Mensch sein. Nach Klagen entlassener Latino- und Filipino-Angestellter, die zwar die Fensterscheiben reinigen, nicht aber Kleidung im Verkaufsraum falten durften, ziert nun auch ein Quoten-Schwarzer die Homepage des Unternehmens.
Den deutschen Hipstern nun Rassismus vorzuwerfen, weil sie „Abercrombie“-T-Shirts tragen, wäre allerdings verfehlt. Das Verdikt der Oberflächlichkeit träfe da schon besser: Es gefällt ihnen einfach das Konzept „schöne junge Menschen verkaufen schöne Klamotten an schöne Menschen“. Ethnische Zugehörigkeiten spielen da eher eine untergeordnete Rolle – höchstens ein gewisser elitärer Anspruch, nämlich der, Teil einer internationalen juvenilen Elite anzugehören. Einer Art entgrenztem Stüssy-Tribe.
Abercrombie & Fitch’s verkauft Kleidung mit den Mitteln des Sex, das ist nicht neu, aber in dieser Form radikal. Abercrombie, die Marke mit dem Elchsymbol, ist in Amerika ein Symbol für Jugend, die cool ist und trotzdem verführerisch. Und höchstens 25 Jahre alt. Deutsche Schwule schert diese Altersbegrenzung nicht, sie rennen auch noch mit 30 in die Kinderabteilung, weil die dort erhältlichen Winzgrößen als gut sitzend empfunden werden – der „All American Boy“ ist, angeblicher Antiamerikanismus hin oder her, immer noch ein verbindliches Schönheitsideal, und das weit über die Grenzen der schwulen Community hinaus: gesund, sportlich und gut gelaunt soll Mann sein.
Der von offiziellen Marketingstrategien völlig entkoppelte Erfolg von Abercrombie & Fitsch’s in Europa, speziell in Deutschland, verweist einmal mehr auf eine sich immer stärker vereinheitlichende internationale Jugendkultur, in der die durch MTV transportierten Werte als verbindlich gelten. Zudem deutet sich an, dass nicht nur Kaufhäuser wie Karstadt ihre große Zeit längst hinter sich haben. Auch die mit großem Aufwand betriebenen Filialen von Modehändlern wie Abercrombie & Fitsch’s könnten sich in naher Zukunft erübrigen: Immer mehr junge Menschen kaufen ihre Kleidung über das Internet, insbesondere bei eBay. Internationale Preisunterschiede können so mühelos überwunden werden, und natürlich auch die Beschwernisse des Shoppings in schlecht belüfteten Malls. Auch für das transatlantische Beschaffungsproblem hat sich mittlerweile eine Lösung gefunden: Unter der Internetadresse www.abercrombie-sammelbestellung.de bilden deutsche Abercrombie-Fans eine preisbewusste Konsumentengemeinschaft. Die teuren Versand- und Einfuhrkosten werden hier einfach aufgeteilt.