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Archiv-Artikel

Losing my Religion

DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Wundern muss man sich, wie wenig Empörung es hervorruft, dass Beamte Kreuze offen tragen dürfen

So wie der Islam starr in die Betrachtung einer Gesellschaft versenkt bleibt, die vor 7 Jahrhunderten real gewesen war, gelingt es auch uns nicht mehr, außerhalb der Kategorien einer seit anderthalb Jahrhunderten versunkenen Zeit zu denken, da wir uns mit der Geschichte in Einklang zu bringen wussten. Claude Lévi-Strauss

Nach Judentum und Christentum hängt mir der Islam auch langsam zum Halse raus. Seit Wochen und Monaten gibt es kein anderes Thema mehr, wenn mehr als zwei in meiner Küche zusammenkommen. Und seit Wochen und Monaten lese ich im Koran herum, um Antworten auf Bomben, Burkas und das Böse zu finden und bin doch so ratlos als wie zuvor.

Wir suchen Erkenntnisse im Studium unterschiedlicher Glücksversprechen. In einer Fernsehreportage werden jugendliche Strafgefangene danach gefragt, was ihnen am meisten fehlt – der Reporter hatte es nach Ansicht der vielen Bilder halbnackter Frauen gefragt. Doch statt der Sexualität fehlte den Gefangenen „die Familie“ – so jedenfalls antworteten die muslimischen Jungen. Ein Deutscher, der gefragt wurde, was ihm am meisten im Knast fehle, sagte, fast kopfschüttelnd über die Dummheit dieser Frage: „Na, die Freiheit natürlich.“

Wir zählen sie auf, die verschiedenen Versprechen an das Glück in der Geborgenheit der Familie und, dem entgegengesetzt, das Versprechen auf Glück über die Selbstverwirklichung des Individuums.

Wir beschäftigen uns mit der Weite des geschlossenen und bilderlosen Raums einer Moschee und der emporstrebenden Freiheit gotischer Kathedralen. „Das Ornament im Ornament im Ornament führt immer weiter nach innen“, sagt der muslimisch geborene Bashir, „ zur endgültigen Implosion in Gott. Eine gotische Kirche strebt hinaus, sie bezieht die äußere Welt mit ein.“ Leylas und meinen Einwand, dass dieses immer höher Werdende auch einer angsteinflößenden Hierarchie Ausdruck geben könne, lässt er nicht gelten. Wir würden „nur“ einer emotional weiblichen Bevorzugung des Runden folgen.

Hier bleibt Bashir ein echter Musel-Macho. Er spricht lieber über die Starrheit des Islam, das Festhalten an einem einmal geschriebenen Gesetz und einem gesellschaftlichen Ordnungssystem, das längst überholt sei, und stellt den Aufbruch in die Moderne als das Erstrebenswerte dar.

Ich denke an diejenigen meiner Freunde, mit denen ich über alles Witze machen kann, nur nicht darüber, was im Koran steht. Die im Ernst glauben, Gott habe via Gabriel Mohammed diktiert, wie viel Viertel, Drittel und Sechstel welcher Verwandte in welchem Falle von wem zu erben hat. Dass Frauen nur Anteile bekommen, versteht sich von selbst. Ich denke an diese Freunde, die sehr wohl gegen Bomben, Burkas und das Böse sind.

„Man muss aufhören, dazu Erklärungen im Islam zu suchen“, sagt meine Freundin Leyla, „vielleicht liegt es im Wesen der Araber.“ Meine Freundin Leyla ist Türkin, zudem noch Jüdin, sie hat also vom Islam so wenig Ahnung wie von den Arabern. Wir erhoffen uns diesmal echte Hilfe von Bashir, aber der ist ein Kaschmirer und will mit Arabern überhaupt nichts gemein haben.

Bashir ist zudem bekennend ungläubig und sucht sein eigenes Heil in Theorien über den Unterschied von Kultur und Zivilisation. „Was jemand glaubt, ist ganz und gar seine Privatsache und will ich gar nicht wissen“, sagt er, „ ich will nur wissen, ob die Kanalisation, das Schul- und Gesundheitswesen funktioniert und ob es eine gute Verkehrsanbindung gibt.“ Damit hat er quasi schon ein vernichtendes Urteil über die meisten Länder seiner muslimischen Geschwister gesprochen. Bashir und Leyla sind vehemente und radikale Vertreter eines säkularisierten Staates und hohnlachen über die deutsche Pseudo-Trennung von Staat und Kirche.

Wundern muss man sich tatsächlich darüber, wie wenig Empörung ein hessisches Kopftuchverbot inklusive ausgesprochener Straffreiheit für das Tragen eines christlichen Kreuzes hervorruft. Das Kreuztragen sei ja nur eine Mode, heißt es. Wenn man sich die jungen Frauen mit den engen Jeans, den hochhackigen Schuhen und den geschminkten Gesichtern über den neuerdings fast afrikanisch gebundenen Kopftüchern (man legt ein Stück Stoff drunter, damit es noch höher gebunden werden kann), könnte man fast glauben, auch hier handle es sich um eine Mode. Es erklärt allerdings nicht, warum in letzter Zeit immer mehr junge Frauen ihr Modebewusstsein mit schräg oder gerade, niedrig oder hoch gebundenen Kopftüchern demonstrieren wollen.

Vielleicht treffen sie sich aus Gründen, die Rupert Sheldrake einst „das morphogenetische Feld“ genannt hat – er verstand darunter eine Art geistiger Datenbank, wo jeder Gedanke,auch jeder dumme Gedanke, sofort gespeichert und jederzeit von jedermann abgerufen werden kann. Sobald irgendwas irgendwo Mode wird, taucht es auch irgendwo anders auf. Es bedeutet nur: Im Kosmos geht nichts verloren! Vielleicht treffen sie sich also auf dem morphogenetischen Feld des Fundamentalismus mit der neuesten Mode jener US-Amerikaner, die einen 12-teiligen Romanzyklus zum Bestseller machten. „Left behind“ wurde geschrieben von einem ehemaligen Pfarrer und einem Mitarbeiter Billy Grahams. Billy Graham, um es noch mal zu erwähnen, bekehrte ja persönlich den amtierenden amerikanischen Präsidenten. Es geht, angelehnt an die Johannes-Offenbarung, um die finale Christ-Antichrist-Auseinandersetzung.

„Man muss aufhören, Erklärungen im Islam zu suchen, vielleicht liegt es im Wesen der Araber“

Die Guten um Christus sitzen in Chicago, die Bösen haben sich in Europa um einen rumänischen Satansbraten versammelt – während die Juden in Israel sitzen, um sich zum wiederkehrenden Messias zu bekennen und damit ebenfalls zum Guten zu konvertieren. (So weit zu der Frage, wieso sich die Republikaner plötzlich so philosemitisch zeigen.) Die US-Auflage dieses Lore-Romans fürs Christentum liegt bei über 40 Millionen, plus Extra-Ausgabe für Kinder.

Diejenigen, die den Wettbewerb der Religionen jedoch nicht auf einem Haute-Couture-Laufsteg des morphogenetischen Fundifeldes austragen wollen, entscheiden sich entweder für die finale Schlacht oder für die endgültige Abkehr von jeglicher Transzendenz. Dann bekommen wir es (zumindest hierzulande) allerdings wieder mit Max Horkheimer zu tun. Für ihn bleibt Politik, die keine Theologie oder Metaphysik in sich bewahrt, ein bloßes Geschäft. Alles, was mit Moral zusammenhinge, ließe sich nicht auf säkulare Gründe zurückführen.

Horkheimer wollte die Religionen nicht abschaffen, er wollte ihnen aber das Eingeständnis entlocken, sie seien Ausdruck einer Sehnsucht. Und noch poetischer formulierten es er und sein Freund Theodor Wiesengrund, als sie nicht mehr von Gott, sondern von der „Sehnsucht nach dem Anderen“ sprachen. Darauf können wir uns in meiner Küche einigen. Leyla hat noch eine Idee zur sinnstiftenden Rettung eines säkularisierten Staates. Sie war neulich in Thailand. Der Grund, warum dieses Land so erfolgreich und seine Bewohner so zufrieden seien, läge nicht nur in der US-Unterstützung noch aus den Zeiten des Vietnamkrieges – sondern auch in der Monarchie.