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Archiv-Artikel

Vergeudete Energie

Berlin beschloss 1995 eine wegweisende Solar-Verordnung. Diese wurde mit großem Erfolg umgesetzt - allerdings nur in Spanien. In Berlin selbst bleibt die Sonne weitgehend unangezapftvon HILMAR POGANATZ

Die Dame mit dem gesunden Teint wird plötzlich kreidebleich: „What …?“ Die Gesandte aus Barcelona, die in Berlin über Nachhaltigkeitsprojekte in ihrer Stadt sprechen will, wendet sich an ihren Nebenmann: „Wie bitte? Habe ich das richtig verstanden, dass die Solaranlagen-Verordnung in Berlin nie durchgesetzt worden ist?“ Die Stadträtin kann nicht glauben, was sie von der Enquetekommission „Zukunftsfähiges Berlin“ erfährt. Zu Recht, hatte die Stadtverwaltung der katalanischen Metropole doch Mitte der 90er-Jahre das Modell der Solaranlagen-Verordnung aus Berlin importiert, das eine Baupflicht für thermische Solaranlagen bei Neubauten vorsieht.

Heute melden die Katalanen den durchschlagenden Erfolg des „Berliner Modells“, die Kollektorfläche hat sich in nur zweieinhalb Jahren verzehnfacht, auf 80 Prozent der neuen Gebäude wurden Solaranlagen installiert. In Berlin blieb die kühne Reformidee praktisch ohne Folgen.

Kernpunkt des innovativen Gesetzes war die Verpflichtung, dass bei neu gebauten Mehrfamilienhäusern „in der Regel 60 Prozent des zu erwartenden Jahreswarmwasserbedarfs über thermische Solaranlagen zu decken sind“, sagt der Umweltökonom Holger Rogall, ehemaliger SPD-Parlamentarier und Mitinitiator der Verordnung. Rogall, der heute einen Lehrstuhl an der Fachhochschule für Wirtschaft hat, erinnert sich an die Aufbruchstimmung 1990, als Berlin dem europäischen Klimabündnis beitrat und das Energiespargesetz verabschiedete: „1993 entstand dann die Idee, eine Baupflicht für thermische Solaranlagen auf Neubauten einzuführen.“ 1995 wurde dies als Gesetz vom Abgeordnetenhaus einstimmig angenommen.

Trotzdem fallen die hiesigen Ergebnisse im Vergleich mit den spanischen Nachahmern geradezu lächerlich aus: So kommt die Unternehmensvereinigung Solarwirtschaft (UVS) zum Ergebnis, dass bis Sommer 2003 nur 5.000 Quadratmeter thermischer Kollektorfläche errichtet wurden – nicht einmal fünf Prozent der vorgesehen Fläche. In Barcelona hingegen „ist die installierte Fläche solarthermischer Anlagen um 850 Prozent gewachsen“, weiß Antonio Romero, Direktor der Energie-Agentur von Barcelona. „Schon jetzt gibt es in Katalonien zehn weitere Gemeinden mit Solarverordnungen, die teils noch anspruchsvoller als die von Barcelona sind“, berichtet der Deutsche Christoph Peters, der seit drei Jahren in Barcelona am Energie-Institut ICAEN der Katalanischen Landesregierung tätig ist. Auch in Madrid, Sevilla, Saragossa, Pamplona und Huesca sei das Modell enthusiastisch aufgenommen worden. Pikanterweise fand dieser Siegeszug unter ständigem Verweis auf das „Berliner Modell“ statt. Der Mythos vom Solarparadies im Norden übte seine ganz eigene Faszination aus.

Berliner Lokalzeitungen hatte man in Spanien in der Zwischenzeit natürlich nicht gelesen. Dort hätten die eifrigen Südländer nachlesen können, wie es hier zum eklatanten Scheitern der umweltpolitischen Initiative kam. Das fortschrittliche Gesetz stand von vornherein auf tönernen Füßen, die ihm unter dem Druck von Lobbyisten bald wegbrachen. Der Gesetzestext hatte den Senat lediglich dazu „ermächtigt“, eine Verordnung zu erlassen, die eine Quote für thermische Solaranlagen vorschreibt.

Die Macht der Lobby

Der Verband Berlin-Brandenburgische Wohnungsunternehmen (BBU) favorisierte aber eine Selbstverpflichtungslösung. Daher hätten Bau- und Finanzverwaltung die Verordnung nicht in Kraft gesetzt, sagt Rogall. Ein zweiter Anlauf im Folgejahr begann viel versprechend, war vom Finanzsenator bereits abgezeichnet, scheiterte aber an der Verweigerungshaltung von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD).

Während die Spanier bereits begannen, das „Berliner Modell“ für Barcelona anzupassen, kam es hier 1997 zur Unterzeichnung der „Freiwilligen Vereinbarung zur CO2-Minderung und zur Verbreitung von Solaranlagen“. Die Initiative der Berliner Wirtschaft „Klimaschutzpartner“ verpflichtete sich, bis 2002 ebenso viel Anlagen zu bauen wie durch die SolVO entstehen würden und ihre CO2-Emissionen noch darüber hinaus zu senken.

Dieses Jahr ist nun erstmals eine Bewertung dieser Lösung möglich. Sie fällt je nach Sichtweise sehr unterschiedlich aus, weist aber in jedem Fall darauf hin, dass die Ziele der Selbstverpflichtung nicht erreicht wurden. So nennt der Solarverband UVS die Ergebnisse nach eigenen Schätzungen „völlig unzureichend“. Die Initiative der Wirtschaft gibt die errichtete Kollektorfläche mit knapp der Hälfte der notwendigen 50.000 Quadratmetern an, beruft sich jedoch darauf, trotzdem eine viel höhere CO2-Reduktion als vereinbart erreicht zu haben. Doch sogar der Berliner Energiebeirat, dem auch die „Klimaschutzpartner“ angehören, vermerkt in einem Protokoll zum letzten Leistungsnachweis 2002, dass „die Rückstände bei der Realisierung solarthermischer Anlagen nicht aufgeholt werden können“.

Was war in Barcelona anders gelaufen? Josep Puig, Vater der erfolgreichen Solarverordnung in Barcelona, sagt, dass eine potente Mischung aus erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit und einem überparteilichen Konsens den Widerstand der Baulobby in Kataloniens Metropole brechen konnte. Puig ist der Gründer der Non-Profit-Ökologieberatung Ecoserveis und Vizepräsident des Vereins Eurosolar. Als die Berliner Verordnung importiert wurde, saß er für die spanischen Grünen im sozialistisch dominierten Stadtrat von Barcelona. „Eigentlich gab es keine starke Opposition“, erinnert sich Puig. Eine Sichtweise durch die rot-grüne Brille, wie das Amtsblatt der Solarverordnung vom Juli 1999 beweist: Offenbar wies der Stadtrat alle Behauptungen der konservativen Opposition rundum zurück, ging einzig auf die Einwände von Seiten des Handwerks, der Wasserversorger und der Architekten ein. Anders als im Falle des Berliner Energiebeirates kam es in Barcelona zu einer Einigung am runden Tisch.

Es habe sich zeigen lassen, dass die Mehrkosten von rund einem Prozent innerhalb von zwei bis sieben Jahren amortisiert werden können, rechnet Puig vor. Die jährliche Sonnen-Gesamteinstrahlung pro Quadratmeter beträgt in Barcelona mit 1.525 Kilowattstunden gut ein Drittel mehr als in der brandenburgischen Tiefebene. Um den Bestand qualifizierter Arbeitskräfte aufzustocken, legte allein das ICAEN ein Schulungsprogramm auf. 2002 absolvierten dort 800 Installateure eine Fortbildung. „Die Industrie hatte Zeit zu wachsen“, sagt Puig.

Noch wichtiger für den Erfolg sind nach Ansicht des Solarexperten Peters aber die zahlreichen Subventionsprogramme auf lokaler, Landes- und Bundesebene gewesen. „Katalonien allein hat im letzten Jahr 378 Projekte mit insgesamt 2,2 Millionen Euro subventioniert“, sagt Peters. Diese hätten zu einer Gesamt-Investition von 11 Millionen Euro geführt. Zudem habe das katalanische Finanzministerium günstige Kredite zur Verfügung gestellt. Projektionen von ICAEN zufolge wird die jährliche Zuwachsrate an Kollektorfläche in Katalonien bis 2010 auf 70.000 Quadratmeter explodieren. Und Josep Puig arbeitet bereits mit der Regierung von Barcelona und der EU an einer zweiten Solarverordnung für Solarstrom aus Photovoltaik.

Besser als in Berlin läuft es selbst im nordhessischen Vellmar. Dort wird derzeit ein solares Stadtviertel gebaut, für das die Stadt die Nutzung von Solarwärme in einem städtebaulichen Vertrag festgeschrieben hat. Zehn Jahre nach der Idee zur Solarverordnung ist Berlin also auch von einer Kleinstadt überholt worden.