: Regionale Freunde
Paris und Berlin wollen die Zusammenarbeit zwischen Bundesländern und Regionen stärken und den Sprachunterricht an den Schulen ausbauen
aus Paris DOROTHEA HAHN
Mit „Bonjour“ und: „Wie geht's?“ haben sich gestern Vormittag in der westfranzösischen Provinzstadt Poitiers Gerhard Schröder und Jean-Pierre Raffarin begrüßt. Doch damit war ihr Wortschatz in der Sprache des anderen auch schon erschöpft. Der Bundeskanzler musste Kopfhörer aufsetzen, um zu verstehen, dass der Premierminister sich dafür einsetzen will, den dramatischen Rückgang beim Französisch- und Deutschunterricht zu bremsen: mit 50 Prozent mehr Sprachunterricht binnen der nächsten zehn Jahre und mehr Schulpartnerschaften.
Der französische Regierungschef nimmt nicht immer an den in den vergangenen Monaten häufig gewordenen bilateralen Treffen teil. Und wenn er doch dabei ist, steht er gewöhnlich im Schatten seines Staatspräsidenten. Doch in Poitiers, wo er einst seine politische Karriere begann, war Raffarin gestern die französische Hauptperson. Und Jacques Chirac war nicht einmal mit von der Partie. Das Treffen in der Provinz war eine Premiere, bei der die Spitzen der 22 französischen Regionen mit Vertretern der 16 Bundesländer zusammenkamen. Vorsichtshalber hatte Raffarin kurz zuvor in einem Interview präzisiert, Frankreich habe nicht die Absicht, ein föderales Land zu werden wie die Bundesrepublik. Aber gestern, auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Poitiers, erklärte er immerhin, die Kontakte zwischen den deutschen Ländern und französischen Regionen sollten intensiviert werden. Zudem solle die „Zivilgesellschaft“ stärker in die deutsch-französische Freundschaft einbezogen werden. Von einer Aufstockung der seit Jahren zurückgehenden Mittel für diese – kulturellen und anderen – Beziehungen auf der gesellschaftlichen Ebene war allerdings keine Rede.
Während die deutschen Medien dem Treffen viel Aufmerksamkeit widmeten, ging dessen regional-föderaler Aspekt in Frankreich weitgehend unter. Die französischen Medien konzentrierten sich auf nationale und europäische Fragen: die mittelfristig mehr als drei Prozent hohen Haushaltsdefizite beider Länder und die Ankündigung der beiden, die EU-Verfassung möglicherweise gleichzeitig im kommenden Sommer zu ratifizieren. Der rechte Raffarin, dessen Popularität seit Monaten unablässig sinkt, und Schröder bestätigten in Poitiers, dass sie grundsätzlich am Stabilitätspakt festhalten wollen und dass sie gemeinsame Wachstumsinitiativen vorbereiten. Zugleich versuchten die beiden, die kleineren EU-Länder zu beruhigen. Die deutsch-französische Beziehung stelle keine Bevormundung der übrigen EU-Mitglieder dar, versicherten sie.
Doch die Kritik an der deutsch-französischen Spezialbeziehung kommt nicht nur aus den Hauptstädten der kleinen Länder, sondern auch aus dem Inneren. So demonstrierten am Montagabend in Poitiers, als das Treffen mit einem Diner der Chefs begann, linke Organisationen, darunter die Gewerkschaften SUD und CGT, die Lehrergewerkschaft FSU sowie Schauspieler gemeinsam gegen das Europa des Sozialkahlschlags.