: Die Rollen sind vergeben
Keine Herausforderung für die Berliner Theaterlandschaft wäre Christoph Hein als Intendant des Deutschen Theaters
Der Stadt Berlin fehlt ein realistisches Bild von sich selbst. Diesen Mangel konstatierte Thomas Flierl, Kultursenator von Berlin, im Sommer in einer Agenda für die Berliner Kultur. Er benannte das Kleben an alten Notlügen von der Metropole und liebgewordenen Klischees als größte Hemmnisse auf dem Weg zu Reformen und Veränderungen. Selbstverständnis und Identität der Stadt bewegten sich, so seine Analyse, noch immer in einem Koordinatensystem, dessen ökonomische und soziale Basis inzwischen mehr als brüchig geworden ist. Nun scheint er, der doch die öffentliche und politische Diskussion neuer Wege der Selbstfindung anregen wollte, selbst in diesem Koordinatensystem Sicherheit zu suchen.
Auch den Theatern der Stadt fehlt ein Bild von ihrer Zukunft. Die Positionen sind besetzt und neue nicht sichtbar. Die Entscheidung des Kultursenators, den Autor Christoph Hein ab 2006 als Intendant an das Deutsche Theater zu berufen, bewegt sich nicht über den Rahmen der bisher gesetzten Spieler hinaus (vgl. taz v. 9. 10. 04). Mit Christoph Hein glaubt Thomas Flierl einen „Intellektuellen mit Übersicht“ gefunden zu haben, dem er die „Erneuerung der geistigen Haltung“ am Deutschen Theater zutraut, wie er dem Berliner Tagesspiegel gegenüber sagte.
Doch die Befürchtung ist groß, dass er mit dieser Besetzung dieses Haus an einem Ort festzurrt, den die Entwicklung des Theaters in den letzten Jahren schon etwas museal erscheinen lässt. Denn damit entsteht die Vorstellung, als ob das Theater als Institution, die sich auch immer wieder selber neu erfinden muss, nicht über jene Positionen hinauskönnte, die in Berlin die Schaubühne, die Volksbühne und neuerdings das HAU unter Matthias Lilienthal einnehmen. Dort sind der Zustand der Krise und das Risiko des Scheiterns Teil des Konzepts, ist die Überforderung der eigenen Kräfte und des Zuschauers programmatisch. Die eigene Erosion und das Bewusstsein von der schwindenden Bedeutung der bürgerlichen Kulturinstitutionen werden auf diesen Bühnen zum Thema gemacht.
Dagegen hält das Berliner Ensemble an einer liebgewordenen Illusion fest, an einer Rolle als Hofnarr und kritischer Spiegel der Gesellschaft. Auch das Deutsche Theater blieb bisher in einem gesteckten Rahmen, der den bürgerlichen Gestus der Kunst nicht antastete.
Gibt es zu dieser Verteilung der Positionen und Profile keine Alternative mehr, die nicht zugleich nach Rückwärtsgewandtheit aussieht? Das ist die Frage, die Flierls Entscheidung aufwirft. Denn die Namen der Regisseure, die mit Christoph Hein verbunden werden, wie Peter Stein, Luc Bondy, Andrea Breth, Alexander Lang oder Leander Haußmann, sind in ihren Konturen deutlich. Zudem lassen sie auch eine Absage an das Regietheater vermuten: an die Formen der Dekonstruktion und der postdramatischen Beobachtung der Realität, an das Spiel mit Textflächen, die Dialog und Theatralik zunächst verweigern, Textflächen, wie sie zum Beispiel die Stücke von Elfriede Jelinek darstellen. Soll es das also gewesen sein? Soll nur das Festhalten am soliden Textkorpus funktionieren?
Bernd Wilms, der jetzige Intendant des Deutschen Theaters, hat sich bei Thomas Flierl in einem offenen Brief beschwert. Er fürchtet die Beschädigung seines Hauses durch die Spekulationen um die Zukunft. „Wir müssen nicht gerettet werden. Das Haus ist gut bestellt und beim Publikum höchst erfolgreich.“ Tatsächlich liebt ein großer Teil des Publikums, das sich vom Theaterbesuch einen kulturellen Höhepunkt verspricht, das Deutsche Theater oder das BE.
Es ist unangenehm, über Christoph Heins Bedeutung für das Theater schon jetzt, zwei Jahre bevor er den Posten einnehmen soll, aufgrund nicht ganz frischer und teils marginaler Indizien zu urteilen, wie seiner eigenen Dramatik und seiner lange zurückliegenden Zeit als Dramaturg. Aber das Bild des zurückhaltenden Intellektuellen entspricht so wenig der Hoffnung auf einen Intendanten, der Bewegung in das Ritual von Feindbildern bringen könnte, mit denen sich zum Beispiel Castorf von der Volksbühne und Peymann vom Berliner Ensemble angreifen und in ihren Rollen bestätigen. Er ist kein Herausforderer, der auch den anderen ein neues Nachdenken über ihre Funktion nahe legen würde.
KATRIN BETTINA MÜLLER