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Archiv-Artikel

Sitzstreik oder Kunst?

„Lazy Sunday“ heißt die neue Ausstellungsreihe des Künstlerhauses. Neun Sonntage werden zeigen, ob Bremer Kunststudierende wirklich faul sind

Im Ausstellungsraum sind drei Stuhlreihen auf unterschiedlich hohen Podesten aufgebaut. 15 Studierende der Hochschule für Künste (HfK) betreten den Raum und setzen sich auf die Stühle. Sie bauen sich als Klassenfoto auf. Doch der Fotograf kommt nicht, die Klasse bleibt mit den Galeriegästen allein.

Die Aktion im Künstlerhaus Bremen fand am letzten Sonntag statt. Sie ist Teil einer Reihe mit dem Titel „Lazy Sunday“. Noch an acht weiteren Sonntagen werden Studierende der HfK den Ausstellungsraum jeweils für einen Tag gestalten. Die Kuratorin Dorothee Richter verspricht sich von der Zusammenarbeit mit der Klasse für Freie Kunst von Professor Rolf Thiele viele „unvorhersehbare, verrückte Events“.

Verrückt ist das Verhalten der jungen KünstlerInnen beim „Klassenfoto“ auf jeden Fall: Sie schauen eine ganze Stunde stoisch geradeaus. Den Zuschauern ist‘s unangenehm. Sie drängen sich dicht an die Wand und betrachten aus schrägem Blickwinkel und sicherer Distanz das Kunstwerk.

Doch ist das überhaupt ein Kunstwerk? „Nein“, sagt Professor Thiele, „meine SchülerInnen sollen keine fertigen Objekte abliefern, sondern Ideen und Arbeitsprozesse darstellen.“ Ein Galerieraum als Werkstatt oder Ort für studentische Selbsterfahrung? Das passt gut zum Ansatz des Künstlerhauses, dessen Leitung gerne versucht, herkömmliche Ausstellungskonzepte in Frage zu stellen. Jetzt fehlt nur noch eine bedeutungsschwangere Interpretation des „Lazy Sunday“-Konzepts, um die Events adäquat zu goutieren. Doch auch diese Tür haut Thiele zu: „Theorie ist für mich, dass man das Richtige vom Falschen eliminiert. Das mache ich nicht.“

Wunderbar: Dann kann man ja einfach beschreiben, was an den einzelnen Tagen passieren wird. Am kommenden, zweiten Sonntag werden die Besucher lediglich die Überreste einer Party vom Vorabend bewundern können. Am dritten stoßen sie auf eine Schaukel und Matratzen. Am vierten gibt‘s ein freiwilliges interkulturelles Fußbad. Und so weiter. Die KünstlerInnen haben bei der Gestaltung der Events freie Hand. Mal werden sie anwesend sein, mal nicht.

Diese Beliebigkeit könnte die große Schwäche der „Lazy Sundays“ sein. Das „Klassenfoto“ war spannend, keine Frage. Aber nur wenn man es nicht wie ein Kunstwerk aus sicherer Distanz betrachtet, sondern stattdessen in die Blicke hineinläuft, sich ihnen aussetzt. In diesem Moment kehrt sich die Rolle von Betrachter und Betrachteten um und der Zuschauer spürt ein überwältigendes Gefühl der Verletzlichkeit – wie auf einer Bühne. So war die Aktion wohl auch gedacht.

Die Frage ist nun, ob die anderen Events die geweckte Lust auf ähnlich intensive Kunsterfahrung befriedigen können. Einige werden wohl die Trennung zwischen aktiven KünstlerInnen und passivem Publikum aufrechterhalten. Andere scheinen doch eher traditionelle Objektkunst zu zeigen: Warum sollte man sich am Sonntag die Reste einer Party anschauen? Spannender wäre es doch, am Samstag mit einer Flasche Bier in der Hand den KünstlerInnen beim exzessiven Feiern zuzusehen.

Tim Ackermann

„Lazy Sunday“: bis 21.12. jeden Sonntag bis 21. Dezember im Künstlerhaus von 12 bis 18 Uhr