: Rückzug aus der Illusion
Struck löst Spekulationen über einen Bundeswehreinsatz im Irak aus. Relevanter ist jedoch, wie sich Deutschland politisch gegenüber dem Vorgehen der USA verhält
Wer seriös und verantwortungsvoll erscheinen will, der hat sich schon dem neuen Konsens in der deutschen Außenpolitik angeschlossen: Die Invasion in den Irak war zwar ein Fehler oder vom Pentagon zumindest irgendwie falsch umgesetzt, aber jetzt ist es zu spät für solche Rechthabereien. Nun gilt es, die US-Truppen dabei zu unterstützen, den Irakern Demokratie und Frieden zu bringen.
In der vergangenen Woche stellte der ehemalige Staatsminister Michael Naumann auf der Titelseite der Zeit einen deutschen Militäreinsatz im Irak gar als langfristig unausweichlich dar. Die etwas flapsige Äußerung von Verteidigungsminister Peter Struck, er könne mit Blick auf den Irak für die Zukunft keine „verbindlichen Aussagen“ machen, scheint da ganz ins Bild zu passen. Doch wer nun wieder nur darüber spekuliert, wann die ersten deutschen Offiziere in Bagdad oder Basra landen, lenkt von den eigentlich relevanten Fragen ab: Es geht darum, wie die Bundesregierung zu dem von den USA und ihren Verbündeten betriebenen militärischen Kurs im Irak steht und zu welcher Art der politischen Unterstützung sie bereit ist.
Schon jetzt scheint die Bundesregierung alles zu unternehmen, um die US-Politik so weit wie möglich zu unterstützen – vorausgesetzt, es ist gerade noch ohne eine Präsenz der Bundeswehrpräsenz im Irak machbar. Dafür verbiegt sie sogar ihre eigenen Richtlinien für den Waffenexport. Denn mit der Lieferung von Transportpanzern in den Irak schickt sie für den Guerillakampf bestens geeignetes Rüstungsgerät in eine Kriegsregion. Auch mit der Zustimmung zum Nato-Einsatz im Irak unterstützt die Bundesregierung die US-Linie im Irak. Ob dort nun auch ein paar deutsche Uniformen zu sehen sind oder nicht, ist bestenfalls zweitrangig. Relevant ist, dass nun nicht mehr nur einzelne Verbündete, sondern die Nato als Ganzes offiziell ihre Infrastruktur zur Verfügung stellt und im Irak präsent sein wird. Das ist das Einzige, was für die international bedrängte US-Regierung zählt. Mehr europäische Soldaten wären zwar erwünscht, aber für die größte Streitmacht der Welt nicht prioritär.
Dennoch wird nach den US-Wahlen am 2. November der Druck der US-Regierung auch auf die deutsche Regierung, den Kriegseinsatz im Irak klarer zu unterstützen, zunehmen – ganz gleich wer im Weißen Haus regiert. Gewinnt John Kerry, wird er Deutschland und Frankreich zumindest symbolisch ein wenig in die Entscheidungen zum Irak einbeziehen – und zugleich mehr fordern. Tatsächlich ist sein gutes Standing bei den Verbündeten einer der wenigen substanziellen Punkte, mit denen Kerry in der Irakpolitik gegenüber Bush auftrumpfen zu können meint.
Doch auch wenn George W. Bush im Amt bleibt, dürfte sich nach dem Wahltag die europäische und auch die deutsche Irakpolitik verändern. Und sei es nur, weil gegen ein Engagement der Bundesregierung nach dem 2. November nicht mehr der innenpolitische Einwand vorgebracht werden kann, durch ein Einlenken in Sachen Irak helfe man Amtsinhaber Bush im Wahlkampf. Nach der Wahl ließe sich in Berlin argumentieren, es gelte nun endgültig, den Streit über die Invasion zu beenden.
Am Anfang jeder Debatte über eine stärkere Unterstützung der US-Politik steht das Argument, der Irak müsse um jeden Preis kontrolliert werden. Der vom Irak ausgehende Terror werde alle, also auch Deutschland treffen. Implizit wird damit unterstellt, dass jene, die auch jetzt noch eine militärische Präsenz im Irak für falsch halten, diese Position nur aus Rechthaberei vertreten – als habe die Erwartung einer Lage ähnlich der, wie sie jetzt eingetreten ist, nichts mit der ursprünglichen Ablehnung der Invasion zu tun. In der Tat ist der Irak heute der Ort, an dem nichtstaatliche Gewaltunternehmer, ganz gleich ob politisch, religiös oder kommerziell motiviert, wie kaum irgendwo sonst aktiv sind. Dies war ja gerade eines der intelligenteren Argumente gegen die Invasion.
Diese Zustandsbeschreibung ist aber an sich noch kein hinreichender Beleg dafür, dass die Lage durch einen dauerhaften Militäreinsatz verbessert werden kann. Wer für eine weitere Präsenz von Truppen der USA und ihrer Verbündeten plädiert, muss auch sagen, woran der Erfolg des Einsatzes gemessen werden soll, welche Mittel erlaubt sind – und welches Risiko dabei akzeptabel ist. Und es muss gesagt werden, in welcher Art die Truppen agieren sollen.
Entweder man tritt ein für eine sensible militärische Präsenz, die Opfer unter der Bevölkerung des besetzten Landes nach Möglichkeit vermeidet. Dies birgt aber zwangsläufig die Gefahr der größeren Gefährdung des eigenen Personals: Wer den Panzer verlässt, wer nicht gleich auf alles schießt, was eine Waffe haben könnte, wer nicht angebliche Treffpunkte potenzieller Attentäter aus der Ferne bombardiert – der setzt seine eigenen Soldaten zwangsläufig größeren Gefahren aus. Oder aber man fährt die für die eigenen Truppen zunächst weniger risikoreiche Strategie: Die bedeutet dann zwangsläufig das Bombardement ganzer Stadtviertel, so wie es die US-Truppen derzeit tun – und die Katastrophe damit weiter befördern. Unabhängig von diesem kaum aufzulösenden Dilemma wird jede Art der Unterstützung der aktuellen irakischen Regierung auch Gefahr laufen, auf einer Seite eines Bürgerkrieges zu landen – statt diesen, wie vorgegeben, zu verhindern.
Nein, ein Abzug der US-Truppen würde weder Frieden noch Demokratie bringen. Auch auf den Rückzug aus Vietnam folgten alles andere als paradiesische Zustände. Aber wäre es deshalb besser gewesen, die US-Truppen noch fünf, zehn oder fünfzehn Jahre länger dort zu lassen? Ganz unabhängig davon, auf welche Barrieren eine US-Militärpräsenz aufgrund der speziellen Bedingungen im Irak stößt: Auch bei gut gemeinten Vorschlägen, die mit dem Einsatz militärischer Mittel die Lage im Irak beruhigen sollen, wird die Eigendynamik organisierter Gewalt weitgehend ignoriert – und das Potenzial militärischer Macht völlig überschätzt.
Von ihren Befürwortern wurde die Irakinvasion als eine Umkehrung der Dominotheorie aus den Zeiten des Vietnamkrieges verkauft – als der US-Kriegseinsatz dort zur Entscheidungsschlacht zwischen Freiheit und Unfreiheit hochstilisiert wurde. Nach dem Irak sollten dem zufolge auch alle anderen Staaten in der Region demokratisiert werden. Inzwischen beherrscht wieder eine negative Dominotheorie das politische Denken. Die USA dürften nicht scheitern, so die Parolen damals in Vietnam wie heute im Irak, sonst wäre die Macht des US-Militärs gefährdet, auch andernorts für Frieden, Ordnung und Demokratie zu sorgen. Es gilt also im Irak, eine Illusion aufrechtzuerhalten, unabhängig von den absehbaren Folgen. Es ist mehr als unbefriedigend, für die verfahrene Situation im Irak keine schnelle Lösung parat zu haben. Doch es wäre zynisch, die schöne Illusion aufrechtzuerhalten, die Lage sei militärisch in den Griff zu bekommen. ERIC CHAUVISTRÉ