: Sein Herz schlägt weiter
Oskar Lafontaine ist schon lange nicht mehr das letzte Geheimnis der deutschen Politik. Auch wenn den früheren SPD-Chef viele immer noch dazu erklären. Ein Abgesang auf den Mythos Lafontaine
von JENS KÖNIG
Ist es falsch, diesen Nachruf auf den Politiker Oskar Lafontaine zu schreiben? Ist es riskant, weil man bei Oskar nie weiß, ob er nicht doch noch mal zurückkommt? Ist es fahrlässig, sich darauf festzulegen, dass es kein Comeback Lafontaines geben wird, heute nicht und morgen nicht, niemals mehr?
Oskar Lafontaine traut man irgendwie alles zu. 1990 hat er den SPD-Vorsitz abgelehnt, den ihm Parteichef Hans-Jochen Vogel angetragen hatte. 1995 hat er den SPD-Vorsitz erobert, als er Parteichef Rudolf Scharping in einer Kampfabstimmung auf dem Parteitag in Mannheim besiegte. Bei Oskar weiß man nie genau, mit ihm ist immer zu rechnen, sogar ein Putsch ist drin – das ist der Stoff des Mythos Lafontaine.
Gestern Abend hat Heiko Maas, der junge Partei- und Fraktionschef der Saar-SPD, bekannt gegeben, dass er als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2004 antreten wird. Lafontaine saß daneben und erklärte, dass er Maas jetzt unterstützen werde. Lafontaine wird nicht das, was er gern geworden wäre: Spitzenkandidat, Ministerpräsident, Retter der SPD, Putschist in Schröders Kanzleramt.
Ist das wirklich so? Ist die Karriere Lafontaines ein für alle Mal beendet? Schon heute fangen die Ersten wieder da an, wo sie gestern aufgehört haben: Lafontaine alles zuzutrauen. Wer weiß, sagen sie, was Oskar am 8. November macht, dem Tag, an dem Maas auf einem Parteitag von der SPD-Basis offiziell zum Spitzenkandidaten gekürt werden soll? Mannheim, flüstern sie bedeutungsvoll. Wer weiß, sagen andere, was Oskar nach einem möglichen SPD-Wahlsieg im Saarland macht, vielleicht werde er unter Maas Minister, und dann mal sehen.
Alles großer Käse. Lafontaine ist nicht mehr das letzte Geheimnis der deutschen Politik. Die Wahrheit ist ganz simpel: Lafontaine hat mit seinem beleidigten Rücktritt als Finanzminister und SPD-Vorsitzender im März 1999 seine Wähler (und viele andere) enttäuscht. Mit seiner trotzigen Rechthaberei danach hat er sie auch noch verärgert. Sie vertrauen ihm nicht mehr.
Lafontaine ist ja nicht deswegen kein SPD-Spitzenkandidat geworden, weil Maas es verhindert hat. Lafontaine ist nicht angetreten, weil er in der ersten Reihe einfach nicht mehr erwünscht ist. In einer Umfrage vor vier Wochen musste er sich das bestätigen lassen: Selbst in seiner Heimat, bei seinen treuesten Fans, wollten nur noch 30 Prozent aller Sozialdemokraten, dass Lafontaine wieder um das Amt des Ministerpräsidenten kämpft. Eine klare, rationale Angelegenheit, fern allen Zaubers.
Alles andere ist mit Frust und Sehnsucht einer schwer gebeutelten Partei zu erklären. Die Genossen werden auch in den nächsten Monaten über Lafontaine reden. Aber nicht, weil sie ihn wiederhaben wollen, sondern weil er der ideale Anti-Schröder ist. Lafontaine ist der einzige Linke weit und breit, der es mit Schröder aufnehmen könnte. Aber nur theoretisch. Lafontaine verkörpert perfekt die innere Leere der SPD.
In der Politik geht es manchmal eben so zu wie im Leben: Man macht den einen großen, entscheidenden Fehler, der nicht mehr zu korrigieren ist. Er beendet die politische Karriere, weil in dem einen Moment das öffentliche (Vor-)Urteil über den Politiker mit den dunklen, schwachen, komplizierten Seiten seiner Persönlichkeit zusammenfällt. Plötzlich kommt scheinbar die ganze Wahrheit ans Licht.
Rudolf Scharping ist als Politiker nicht erst im Sommer 2002 gescheitert, als ihn die Badefotos mit seiner Gräfin um den Posten des Verteidigungsministers brachten. Seine Karriere war im Prinzip beendet, als er am 16. November 1995 ans Mikrofon des Mannheimer Parteitags trat und zu Oskar, dem Königsmörder, sagte, sie beide müssten jetzt die Kraft finden, die Schmerzen der Vergangenheit hinter sich zu lassen, denn sie hätten eine Aufgabe, die wichtiger sei als sie selbst. Was sich hier als Pflichterfüllung und Hingabe an die große Sache tarnte, war in Wirklichkeit die Offenbarung eines Autismus, der Scharpings Weg nach ganz unten vorzeichnete.
Gregor Gysi will sich bis 2005 entscheiden, ob er bei den Wahlen 2006 doch noch mal für den Bundestag kandidiert. Seine Entscheidung ist egal, weil ihn als Spitzenpolitiker sowieso kaum noch einer ernst nimmt. Gysi hat jahrelang gegen den Ruf angekämpft, er sei der am meisten überschätzte Politiker Deutschlands, er bringe einfach nicht die nötige Härte für das Geschäft mit. Dieses Vorurteil war vielleicht ungerecht, aber mit seiner Entscheidung, kurz vor der Bundestagswahl wegen ein paar falsch abgerechneter Bonusmeilen als Berliner Wirtschaftssenator zurückzutreten, hat er es bestätigt. Gysis anschließende Kokettiererei, seine Entscheidung wäre anders ausgefallen, wenn er nicht im Urlaub gewesen wäre und so viel Zeit zum Nachdenken gehabt hätte, zerstörte seinen Ruf vollends.
Lafontaine hat mit seinem Rückzug 1999 die andere Seite seines politischen Ausnahmetalents und seines Ehrgeizes offenbart: die Sehnsucht nach einem Leben außerhalb der Politik, nach Familie, nach Heimat. Als er noch Oberbürgermeister von Saarbrücken war und eines Tages den abgekämpften, grau gewordenen Kanzler Helmut Schmidt sah, rief er ihm hinterher, dass er so kaputt niemals werden wolle. Und wie oft verbarrikadierte sich Lafontaine in seinem Haus in Saarbrücken und schickte selbst Parteivorsitzende wieder nach Hause, die ihm gerade ein hohes Amt angedient hatten. Das schwere Attentat 1990 hat ihn traumatisiert. Das Leben danach sollte erst recht nicht mehr nur die Politik sein.
Mit Oskar war ja nicht immer nur alles möglich – man konnte sich auf ihn auch nie richtig verlassen. In dem einen wie in dem anderen war er extrem. Er wollte als SPD-Chef und Finanzminister größer sein als der Kanzler, größer als Gerhard Schröder. Als er spürte, dass das nicht ging, floh er nach Hause. Lafontaine hält das mittlerweile selbst für den größten Fehler seines Lebens. Es ist typisch für ihn, dass er den alten Rivalen Schröder zur Strecke bringen will, um seinen Fehler wieder gutzumachen.
Aber er wird keine Gelegenheit mehr dazu bekommen.