: „Steinbrück medienpolitisch bedenklich“
Oliver Keymis, Medienexperte der grünen Landtagsfraktion, über die Zukunft des Medienstandorts Nordrhein-Westfalen, kleinliche Gebührendebatten und kapitale Fehler des SPD-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück
taz: Herr Keymis, die Landesregierung hat den Medienstandort NRW entscheidend geschwächt. Die landeseigene ‚Medien GmbH‘ und das Europäische Medieninstitut wurden geschlossen. Warum zerschlägt die rot-grüne Koalition mit Lust, was vorher mühsam und teuer aufgebaut wurde?
Oliver Keymis: Die Landesregierung handelt nicht aus Lust, sondern aus einer finanzpolitischen Notwendigkeit. Der Medienetat der Staatskanzlei ist in den vergangenen vier Jahren von 41 auf 28 Millionen Euro gesunken. Die Medienpolitik erlebt einen Anpassungsprozess: Viele Dinge haben sich nicht so entwickelt, wie es auf dem Höhepunkt des Medienhypes Ende der 90er Jahre erwartet wurde. Insgesamt bleibt der Medienstandort erste Wahl, etwa durch das Europäische Medienkompetenzzentrum, das Grimme-Institut und die Filmstiftung NRW. Fragen Sie nur Filmproduzenten.
Dennoch macht die Medienpolitik einen kleinlichen Eindruck: Monatelang wurde an allererster Stelle um Rundfunkgebühren gefeilscht. Da ging es um 21 Cent pro Teilnehmer.
Das habe ich auch nicht verstanden. Ich halte diese basarartige Debatte für medienpolitisch kontraproduktiv und verfassungsrechtlich bedenklich.
Warum?
Das Bundesverfassungsgericht verlangt ausdrücklich eine „Staatsferne“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die politische Intervention der Ministerpräsidenten ist doch eine Einladung an die Wettbewerbshüter in Brüssel, die Rundfunkgebühren als unerlaubte Subventionen zu betrachten. Peer Steinbrück handelt nicht im Sinn der Öffentlich-Rechtlichen, auch wenn er anderes behauptet – er macht ein Fass auf, in das andere greifen wollen. Ich halte das für einen kapitalen Fehler.
Mit welchen Folgen?
Als Folge dieses kleinlichen Gefeilsches fehlen den öffentlich-rechtlichen Sendern in den nächsten vier Jahren rund 500 Millionen Euro. Das geht ans Eingemachte, hat natürlich Auswirkungen auf Arbeitsplätze und könnte sogar zu einer Senkung der Qualität führen. Außerdem könnte die Europäische Kommission die Rundfunkgebühren gerade wegen der Intervention der Politik nun generell in Frage stellen. Wir erleben hier den gefährlichen Vorgriff auf den Brüsseler Zugriff auf die Rundfunkfreiheit in Deutschland.
Ihre Alternative?
Ich erwarte von der Politik, dass sie die Bestands- und Entwicklungsgarantie der Öffentlich-Rechtlichen nicht in Frage stellt. Die Privatsender betrachten ARD und ZDF als Konkurrenz, die man verdrängen will – mit allen Folgen für die Qualität der Programme. Der „Big Brother“-Skandal um die so genannten Judenwitze, die offenbar die zuständige Sendeleitung nicht störten, macht das Gefälle deutlich. Auf der anderen Seite beeindruckt die Vielfalt, die die Öffentlich-Rechtlichen gerade mit den Programmen von KiKa, Arte, 3Sat oder Phoenix bieten.
Schöne heile Welt. Aber wohin geht die Reise der NRW-Medienpolitik denn nun konkret?
Ich bleibe dabei: Wir müssen unser duales System stützen und die Öffentlich-Rechtlichen stärken, auch mit Blick auf werbefreie Online-Angebote. Die Rundfunkfreiheit ist ein hohes Gut. Dafür muss man sich auch antizyklisch verhalten – und Geld in die Hand nehmen.
INTERVIEW: ANDREAS WYPUTTA