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Archiv-Artikel

Wenn das starke Geschlecht schwach wird

Werdende Väter im Kreißsaal: Viel Scham, viel Stress – und jede Menge Kaiserschnitte. Nicht immer ist die Anwesenheit des Partners ein Segen

Viele Frauen wollen ihm ersparen,dass er sie leidenund schreien sieht

Früher war die Geburt eines Kindes noch in erster Linie Angelegenheit der Frau. Zurückgezogen mit ihrer Hebamme brachte sie unter Schmerzen das Baby zur Welt, das dann später dem Mann zum Begutachten vorgelegt wurde. Heute sieht dies freilich ganz anders aus: Wer sich als Mann vor dem Kreißsaal drückt, muss damit rechnen, schräg angeguckt zu werden. Denn es gilt mittlerweile als obligatorisch, dass er seiner Partnerin in der schweren Stunde der Geburt zur Seite steht.

Doch ist es wirklich ein Vorteil, wenn der Papa in spe im Kreißsaal anwesend ist? Nicht unbedingt. Denn es gibt Hinweise darauf, dass werdende Väter dort eher stören als nutzen. Vor allem dann, wenn sie gegenüber ihrer Frau überfürsorglich auftreten oder sogar argwöhnisch jeden Schritt überwachen, der von der Hebamme oder dem Frauenarzt unternommen wird. Nicht nur, dass das versorgende Personal dadurch bei der Arbeit gestört wird. Auch die gebärende Frau kann dann ihrer „Arbeit“ nicht mehr ungestört nachgehen. „Ich kenne nicht wenige Fälle“, berichtet Michael Odent vom Primal Health Research Centre in London, „in denen die Frau just in dem Moment, in dem der Vater für eine Weile aus dem Raum musste, nach ein paar unwiderstehlichen Wehen niederkam – unendlich erleichtert darüber, endlich ihre Schmerzen ausleben zu können, ohne Rücksicht auf den Partner.“

Offenbar scheinen Frauen also oft Probleme zu haben, ihre natürlichen Wehenschmerzen in Anwesenheit des Partners auch auszuleben. Möglicherweise deshalb, weil sie sich schämen; denn in vielen Partnerschaften hört die Intimität auf, wenn es um das Sich-Gehen-Lassen im Schmerz geht.

Viele Frauen fühlen aber auch Mitverantwortung für ihren Mann und wollen ihm ersparen, dass er sie leiden und schreien sieht. Weswegen sie im Kreißsaal häufiger nach Schmerzmitteln verlangen und sich schneller zum Kaiserschnitt überreden lassen, wenn der Partner dabei ist. In einer englischen Studie gaben 41 Prozent der befragten Mütter an, dass sie im Nachhinein lieber auf ihren Partner verzichtet hätten – weil er der Situation nicht gewachsen war und sie sich Sorgen um ihn machten.

Auch das oft zu hörende Argument, wonach sich Mann und Frau nach einer gemeinsam durchlebten Geburt noch mehr lieben würden als vorher, lässt sich nicht bestätigen. Die Scheidungsquoten sind bei solchermaßen „verbundenen“ Partnern keinesfalls geringer als bei anderen. Odent hat sogar beobachtet, dass nach einer gemeinsam durchlebten Geburt Männer und Frauen zwar zu guten Freunden wurden – „doch die sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen war verflogen“. Und das bringt irgendwann einmal Probleme.

Ist es also tatsächlich besser, wenn die Frau nach klassischem Vorbild niederkommt – also solo, am besten nur mit Hebamme? Odent will das, trotz aller Bedenken, keinesfalls pauschal bejahen. Denn die Partner könnten beide durchaus vom gemeinsamen Erleben der Geburt profitieren, denn die ist und bleibt natürlich etwas Besonderes.

Voraussetzung ist jedoch, dass der Mann sich passend zur Situation verhält. Buch-Autorin („Babymassage“, Enke-Verlag) und Hebamme Sabine Burchardt empfiehlt den werdenden Vätern, sich defensiv-kontrolliert zu verhalten und darauf zu beschränken, der Partnerin Erfrischungen zu reichen, sie aufzumuntern und sanft zu massieren. „Auch eine Begleitung beim Spaziergang durch den Krankenhauspark oder das Stützen der Frau in den Wehen“, erklärt Burchardt, „geben körperlichen und psychischen Halt.“

Bleibt trotz aller Ratschläge das Problem: Wer weiß schon – vor allem, wenn es das erste Mal ist –, wie er sich in der unvergleichlichen Situation einer Geburt verhalten wird? Im Kreißsaal ist bekanntlich schon so mancher „harte Kerl“ ohnmächtig zusammen gesunken.

JÖRG ZITTLAU

Infos: www.rund-ums-baby.de/maenner.htm