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Archiv-Artikel

Costa del Sol, Zone der Mobilmachung

Am südlichsten Punkt Spaniens findet man ein Internierungslager für die Flüchtlinge aus Afrika, die sich bei der illegalen Einreise haben erwischen lassen. Die anderen suchen sich Arbeit in den mobilen Städten der Küste, Städten ohne Einwohner, Einwohner ohne Wohnstätten. Eine Bilderbeschreibung

VON MARK TERKESSIDIS

Beim spanischen Städtchen Tarifa kommen Europa und Afrika sich am nächsten. Stolz verkündet ein Schild, dass Tarifa der südlichste Punkt des Kontinents sei. Doch gleich hinter dem Schild geht es nicht mehr weiter (Bild 1). Auf einer Landzunge steht eine historische Festung, in der die Guardia Civil ein Internierungslager für Flüchtlinge eingerichtet hat. Wo Europa und Afrika sich am nächsten kommen, ist also ein Lager. Während die Polizei die Meerenge überwacht, damit die Boote der Migranten vor dem Erreichen des europäischen Festlands abgefangen werden können, setzt sich von Tarifa aus jeden Tag eine andere Flotte von Wasserfahrzeugen in Bewegung – in Tarifa wird gesurft. Die einen werden mobil, weil sie nach Arbeit suchen, für die anderen ist die Mobilität die Abwesenheit von Arbeit: „No Work Team Tarifa“ (Bild 2).

Mit solchen Paradoxa ist man oft konfrontiert, wenn man den Süden Spaniens besucht. Tarifa liegt am äußersten Rand einer Region, die man als „Zone der Mobilmachung“ bezeichnen könnte: die Costa del Sol. Kaum jemand lebt hier schon wirklich lange. Selbst viele Einheimische sind in den Sechzigern eingewandert, als jene endlose Stadt gebaut wurde, die sich heute entlang des Ufers erstreckt. Gebaut wird immer noch – mit den Händen der Migranten aus Afrika. Gebaut wird für Touristen, die im Durchschnitt sieben Tage verweilen, für die so genannten Residenten aus Westeuropa, die in längeren Zeiträumen pendeln, auch für spanische Zweitwohnungsbesitzer, die ihr Wochenende hier verbringen. Zwar gilt das Leben in einer „Urbanisation“ als schick und teuer, gleichzeitig werden sie komplett von einem Developer geplant, was bedeutet: Alle Häuser sehen gleich aus, von Individualität keine Spur (Bild 3). Zudem liegen die teuren Wohnungen eingequetscht zwischen „Leisure Cities“ wie Torremolinos oder Benalmádena, die für den Massentourismus angelegt wurden (Bild 4).

Seltsam ist auch, dass die Gegend dadurch so opak wie ordentlich wirkt. Oft kommt man sich vor wie verloren. Keine Anhaltspunkte für die Orientierung – hier gibt es keine Geschichte, keine Erinnerung. Aber auch keine Zukunft, denn das reale Leben spielt eigentlich woanders – dort, wo die Touristen und Residenten herkommen; dort, wo die Zweitwohnungsbesitzer tatsächlich arbeiten, dort, wo die Migranten, die auf dem Bau arbeiten, ihr Geld hin überweisen. Während man durch diese irreale Zone taumelt, scheint dennoch alles seine Ordnung zu haben: Alle Häuser sind gleich, alle Balkone sind gleich – alles parzelliert, durchgeplant, antiseptisch, überwacht. Und es wird immer weiter gebaut (Bild 5) – Bauen ist eine Waschanlage für Geld aus dubiosen Quellen.

Und alle wissen es. Im britischen Gibraltar, einem Städtchen mit nicht einmal 30.000 Einwohnern, haben sich tausende Firmen angesiedelt. Spaniens Süden ist eben dynamisch. Von allem gibt es zu viel – Überkapazitäten an Sonne, Strand, Häusern, Betten, Freizeit, Freizeitaktivitäten, Partys, Luxus, Menschen. Und dennoch sind die Orte verwaist. Als in den 60ern erstmals im großen Stil gebaut wurde, war hier Tabula rasa, und um weiterzubauen, muss immer wieder Tabula rasa gemacht werden (Bild 6). Zudem wohnen die wenigsten Menschen hier wirklich. Und wenn, dann wohnen sie in Backstage-Städten und pendeln von dort in die Touristengegenden. Die Costa del Sol ist leer – leer vor allem an politischen Subjekten. Über Lokalpolitik bestimmen die Alteingesessenen, wobei Politik heißt: die eigenen Pfründen sichern und dem reisenden Kapital gute Bedingungen anbieten. An der Costa del Sol ist man fern vom Alltagsleben, fern arbeitsrechtlicher Regelungen und fern von dem Ort, wo man politisches Subjekt ist: Die „Zone der Mobilmachung“ wird regiert durch illegale Ordnungsprinzipien und legale Regelverstöße, spontane Planung und eingeplante Spontaneität, ohne Erinnerung, in einer Gegenwart, die sich ständig verändert, aber keine Zukunft hat.