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Archiv-Artikel

Bei der Zigarettenmafia in der Schule

Drei fünfzehnjährige Vietnamesen haben versucht, einen Zigarettenverkäufer zu erpressen. Nur ein Beispiel einer Entwicklung: Viele Flüchtlingskinder rutschen in die Kriminalität ab, weil Berlin seit Jahren an der Betreuung spart

Ein Einsatzkommando der Polizei hat am vergangenen Freitag drei fünfzehnjährige Vietnamesen in Pankow festgenommen, weil sie von einem 33-jährigen vietnamesischen Zigarettenverkäufer Schutzgelder erpresst haben sollen. Die Jungen hatten ihre Forderung mit der Behauptung untermauert, sie würden der Mafiabande „Tien Tran“ angehören. Falls der Mann die geforderten 400 Euro pro Monat für seinen Zigaretten-Verkaufsplatz nicht zahlen würde, würde sein „Kopf herunterfallen“, zitiert die Polizei die Jugendlichen.

Der Fall illustriert eine Entwicklung: Weil vor Jahren Pädagogenstellen gekürzt wurden, nehmen sich kriminelle Paten der minderjährigen Flüchtlinge an. Die große Koalition hatte in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre die Ausgaben für die Unterbringung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Asylbewerber in Berlin drastisch gesenkt. „Wir gehen davon aus, dass die Tatverdächtigen tatsächlich erst 15 Jahre alt sind“, sagt der ermittelnde Kriminalbeamte Manfred Schweizer zu dem aktuellen Fall. „Sie sind ohne ihre Eltern nach Berlin gekommen.“ Zwei der Erpresser seien der Polizei wegen Diebstahls einschlägig bekannt. Der dritte sei „ganz neu eingereist“.

Thuy Nonnemann vom Verein Vietnamhaus weist seit Jahren darauf hin, dass unbegleitete minderjährige Asylbewerber aus Vietnam von kriminellen Landsleuten skrupellos missbraucht werden. „Zuerst machen sie ihnen Geschenke. Dann geben sie ihnen Drogen. Auf diese Weise rutschen die Jugendlichen rasch ins kriminelle Milieu ab, und niemand fängt sie in Berlin auf“, klagt sie.

Das weiß auch Tamara Hentschel vom Verein Reistrommel: „Bis sie einen Schulplatz bekommen, dauert das manchmal Monate. Da sind sie längst in den kriminellen Strukturen drin.“ Die Anwerbeversuche des Milieus passierten schon unmittelbar nach der Einreise. Sie vermutet dahinter eine organisierte Struktur aus legalen vietnamesischen Dienstleistungsbüros und gewöhnlichen Kriminellen.

Nur ein geringer Teil der Flüchtlingskinder wohnt seitdem in Jugendhilfeeinrichtungen, in denen es sozialpädagogische Betreuung gibt. „Die anderen landen in Asylbewerberheimen oder ‚Läusepensionen‘ ohne oder mit minimaler sozialer Betreuung“, sagt Walid Chahrour vom Arbeitskreis „Junge Flüchtlinge“ des Flüchtlingsrates. „Wenn dann eineinhalb Sozialarbeiterstellen für 60 Jugendliche und junge Erwachsene bereitstehen, die ohne Eltern in einem fremden Land auskommen, ist das deutlich zu wenig.“

Auch der rot-rote Senat spare früh bei der Betreuung und müsse dann später doppelt Geld ausgeben, so Chahrour weiter. „In den letzten Monaten ist die Zahl der Flüchtlingskinder, die in pädagogisch betreute Heime kommen, drastisch gesunken. Die Jugendämter stehen unter Sparzwang.“ Bei Flüchtlingskindern aller Ethnien gebe es Versuche von Landsleuten, sie ins kriminelle Milieu zu locken. „Nur ein kleiner Teil rutscht ab. Die meisten gehen hier zur Schule und suchen eine Perspektive, die ihnen oft verwehrt wird.“ Denn nach dem Schulabschluss dürften Flüchtlinge keine Ausbildung absolvieren und nur in Ausnahmefällen arbeiten. MARINA MAI