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Archiv-Artikel

Turnen mit der Häkelmütze

Während die Politik das Kopftuch debattiert, verhüllen immer mehr muslimische Schülerinnen ihr Haar und lösen damit weitere Diskussionen aus. Es geht um Sexualität, Schwimmen und ums Prinzip

von GRIT EGGERICHSund JOHANNES GERNERT

„Es ist einfacher, mit Mädchen zu lernen, die Kopftuch tragen.“ Hicham, 17 Jahre alt, ist Schüler des Diesterweg-Gymnasiums im Wedding. Was könnte daran einfacher sein? Hicham guckt zur Seite. Mitschülerin Sophie springt ein: „Das ist für ihn besser, weil es keine Anspielungen auf Sexualität gibt“, meint sie leicht spöttisch. Macht das Kopftuch eine Frau zum sexuellen Neutrum? Zumindest hätte er „Hemmungen, eine Frau mit Kopftuch anzumachen“, meint Hicham. Und so biete das Kopftuch eine Reihe von „gesellschaftlichen“ Vorteilen: Es bewahre Mädchen vor Übergriffen von Männern, verhindere Ehebruch und Aids.

Kopftücher bedecken oft weniger als sie enthüllen: starke Meinungen etwa. Besonders an Schulen treffen gegensätzliche Auffassungen aufeinander. Es geht um Grundsätzliches – und Praktisches: den Sportunterricht beispielsweise. An der Gesundbrunnen-Grundschule im Wedding setzen die Mädchen beim Turnen „gehäkelte Kopfbedeckungen“ auf, damit die „Haare nicht durch die Gegend flattern“, erzählt Konrektorin Elke Nierich. Im Schwimmunterricht sind sie von den Jungen getrennt und nehmen das Tuch ab.

Auch anderswo sitzt auf dem Kopf der Kompromiss. Schwierig werde es zwar, wenn „erhöhte Aufbauten“ die Haare verhüllen – mehrschichtige Tücher zum Beispiel, findet Sabine Sülflow, Konrektorin der Nürtingen-Grundschule in Kreuzberg. Oft seien die Mädchen aber bereit, die Bedeckung auf nur ein dünnes Tuch zu reduzieren. Süflow unterrichtet zehn türkischstämmige Mädchen. Fünf tragen ein Tuch, fünf kommen ohne. „Die ohne sind schon ein bisschen offener“, beobachtet die Lehrerin.

Dass Kopftuchträgerinnen sich keineswegs unterwürfig zeigen, glaubt Brigitte Pick. „Da ist keine demütige Haltung zu spüren“, sagt die Leiterin der Neuköllner Rütli-Oberschule. Auch Kopftuch und Schminke schlössen sich nicht aus.

Da hört für viele Schülerinnen die Glaubwürdigkeit des religiösen Symbols auf. „Manche Frauen tragen das Kopftuch nicht aus Überzeugung“, meint Denise vom Diesterweg-Gymnasium. Make-up und enge Klamotten seien Indizien dafür.

Mit Fundamentalismus würde keiner der Schüler das Tuch in Verbindung bringen. „Die Mädchen mit Kopftuch hier sind eigentlich alle sehr aufgeschlossen“, findet Sandra. „Die Schule ist so multikulti, dass jemand große Probleme hätte, wenn er sagen würde, dass die eigene Religion die einzig wahre ist.“ Von 850 Schülern der Diesterweg-Schule sind ein Drittel Türken, weitere kommen aus Bosnien, dem Iran und Vietnam, sagt Schulleiterin Hannelore Aschenberg. Erst einmal habe sie einen Fall gehabt, der sich nicht lösen ließ. Da hatte eine muslimische Schülerin verlangt, nur noch von Lehrerinnen unterrichtet zu werden. „Das haben wir organisiert“, sagt Aschenberg. Erst als sie keine christlichen Lehrer mehr akzeptieren wollte, musste das Mädchen die Schule verlassen.

Das Tragen von Kopfbedeckung erscheint der Neuköllner Rektorin Pick als neue Entwicklung: „Anfang der 70er-Jahre gab es das überhaupt nicht.“ Da hätten manche das Tuch in der Schule sogar heimlich abgesetzt. Grundschullehrerinnen stellen fest: die Trägerinnen werden immer jünger. Während noch vor einiger Zeit die Verhüllung mit der Pubertät begonnen habe, gehe es nun schon in der zweiten Klasse los, sagt Konrektorin Nierich. Als Ursachen nennen viele eine „Ghettoisierung“ und den steigenden Einfluss türkischsprachiger Medien.

Weil das Kopftuch auch bei Schülerinnen Intoleranz symbolisiere, will Mechthild Noblé es verbieten lassen. „Nur wer so ist wie ich, ist ein echter Muslim“ sei das Signal, das Trägerinnen aussendeten, urteilt die Leiterin der Brandenburg-Grundschule in Schöneberg. Ihr Ideal ist ein anderes: „Wir sind alle gleich. Alles, was Unterschiede hervorhebt, ist nicht förderlich.“ Der CDU-Abgeordnete Michael Braun denkt ähnlich. Er hatte das Verbot für Schülerinnen gefordert (die taz berichtete). Nun hat er einen Antrag bei seiner Fraktion eingebracht. Es soll eine Anhörung im Parlament geben.