: Geschichte fällt aus
An sächsischen Mittelschulen ist das Fach Geschichte nach der neunten Klasse abwählbar. Fachleute sind entsetzt
LEIPZIG taz ■ Sachsen macht Geschichte: Als einziges Bundesland entbindet es seine Schüler von der Pflicht, in der zehnten Klasse am Geschichtsunterricht teilzunehmen. An Mittelschulen (zusammengefasste Haupt- und Realschule) gibt es das Fach nach der neunten Klasse künftig nur noch als Wahlfach. Die Schüler entscheiden selbst, ob sie Geografie oder Geschichte belegen. So steht es in den neuen Lehrplänen, die ab dem Schuljahr 2007/08 gelten.
Fächer wie Wirtschaft/Technik/Haushalt und Soziales wurden aufgestockt – zu Lasten der Geschichte. Man trage damit dem Ruf nach mehr Lebenskunde und ökonomischen Lehrinhalten Rechnung, heißt es aus dem Kultusministerium. Allen Schulabgängern werde aber weiterhin ein fundiertes historisches Wissen vermittelt, versichert CDU-Bildungsminister Karl Mannsfeld. Schließlich bleibe die Zahl der Pflichtstunden in Geschichte bis zum Schulabschluss gleich.
Wissenschaftler und Lehrervertreter sind jedoch alarmiert. Gerade nach den jüngsten Wahlerfolgen der rechtsextremen NPD fragen sie, ob das Thema Nationalsozialismus nach der Reform noch ausreichend behandelt wird.
„Es ist falsch, den Unterricht nach der neunten Klasse zu kappen, gerade nach den Wahlen, die den Rechten solche Ergebnisse beschert haben“, warnt der Dresdner Geschichtsdidaktiker Hartmut Voit. Schließlich hätten vor allem Menschen mit bescheidenerem Bildungsgrad die NPD gewählt. „Gerade im Geschichtsunterricht wird doch Basiswissen gelegt, um die Gegenwart zu verstehen“, mahnt auch sein Leipziger Kollege Alfons Kenkmann. Die Lehrergewerkschaft GEW sieht in der Entscheidung ebenfalls „das falsche Signal“.
Toralf Herschel, Pädagogikstudent, weiß aus eigener Erfahrung, wie es um das Geschichtswissen des Nachwuchses steht. Der Erziehungswissenschaftler veranstaltet mit Mittelschülern Projekttage, unter anderem zum Thema Drittes Reich: „Da gibt es echte Defizite, deshalb halte ich es für hoch problematisch, wenn ein ganzes Jahr wegfällt.“
Kultusministeriumssprecher Dieter Herz verweist aber auch auf Vorteile für die Schüler: „Manche wussten in der neunten Klassen noch nicht einmal über die beiden Diktaturen Bescheid, weil die Lehrer sich sagten, sie hätten ja noch ein Jahr Zeit.“ Im Übrigen würden demokratische Werte ja nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern auch in anderen Fächern vermittelt. Als Beispiel nannte Herz Religion, Ethik und Gemeinschaftskunde, deren Stundentafel unberührt geblieben sei.
Vorsichtige Töne waren aus der SPD zu vernehmen. Gerade laufen die Koalitionsverhandlungen mit der Wahlgewinnerin CDU, und das sensible Thema Bildung steht erst nächste Woche an. SPD-Bildungsexperte Gunter Hatzsch versteht die Aufregung über den Wegfall des Geschichtsunterrichts nicht: „Wir Deutschen denken zu fächerspezifisch. Das ist nicht mehr zeitgemäß.“ ANNA LEHMANN