: Ein Bremer wird Schlossherr
Mit Jürgen Fitschen wird unerwartet ein Bildhauerei-Spezialist zum Chef des kulturgeschichtlichen Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums. In Bremen hat er erfolgreich das Marcks-Haus verändert – das freilich ungleich kleiner als Schloss Gottorf ist
In Bremen war die Überraschung groß, selbst auf Seiten der Mitarbeiter: Jürgen Fitschen soll Mitte September Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte werden. Bislang leitet der 43-Jährige das dortige Gerhard-Marcks-Haus, ein mit 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche relativ übersichtliches Spartenmuseum.
Dass ihm nun statt der Bildhauerei eine zentrale Landeseinrichtung mit wichtigen Werkgruppen zwischen Renaissance-Malerei, mittelalterlichen Möbeln und norddeutschem Expressionismus à la Nolde anvertraut wird, hat offenbar mit Fitschens beachtlicher Aufbauarbeit zu tun: In seinen neun Bremer Jahren hat er das Marcks-Haus aus der Nische des durch den Namenspatron festgelegten Werkspektrums herausgeholt und zum „Bildhauermuseum des Nordens“ gemacht.
Mit der Problematik, primär gründungsvaterzentriert agieren zu müssen, hatten und haben auch andere Häuser, wie etwa das Oldenburger Horst-Janssen-Museum, zu kämpfen. Fitschen hat die Wende weg vom monografisch orientierten Museum jedoch nicht nur mit sehr vielfältigen Ausstellungen exemplifiziert, er hat auch substanziell neue Fakten geschaffen: Unter seiner Leitung wurden erstmals zwei größere Nachlässe erworben, die perspektivisch in eine umfassende eigene Sammlung eingebettet werden sollen. Neben dem von Gerhart Schreiter war vor allem der Aufkauf des künstlerischen Erbes von Waldemar Grzimek, dem bildhauenden Cousin des Tierfilmers, von Bedeutung. Die darauf aufbauende Ausstellung „Ein Platz für Plastik“ gehört zu den Highlights der Amtszeit Fitschens.
In den örtlichen Medien wird Fitschen eine „Vorliebe für pralle Figuren“ nachgesagt. Zwar hat er sich als Ausstellungsmacher beileibe nicht auf Werke von Hans Arp oder Henry Moore beschränkt – aber dass er mit Peter Harry Carstensen (CDU), seinem barock anmutenden künftigen Dienstherrn, gut kann, war bei der offiziellen Vorstellung Anfang der Woche auf Schloss Gottorf durchaus zu spüren.
Will man ihn jedoch wirklich schwärmen hören, begleitet man den 43-Jährigen am besten in eine frühgotische Kirche. Schon seine Promotion beschäftigte sich eingehend mit Sepulkral-Plastik des 13. Jahrhunderts. Der Mittelalter-Spezialist Fitschen hat aber auch ein unbestreitbares Händchen fürs Marketing. Zur Untermauerung des umfassenden Geltungsanspruchs des Marcks-Hauses bemühte er seinen Selbstdefinitions-Slogan derart offensiv, dass mittlerweile sogar Briefe im Museum ankommen sollen, auf denen als Anschrift lediglich „Das Bildhauermuseum im Norden“ notiert ist.
Nicht nur bei der Post hat Fitschen bemerkenswerte bildungspolitische Erfolge – auch generell sei das Publikum während seiner Amtszeit deutlich bunter geworden: „Er hat es geschafft, die Schwelle für Besucher enorm abzusenken“, sagt Arie Hartog, der prägende Kurator des Hauses.
Bei allem bisherigen Erfolg: Wie Fitschen eine derart große Einrichtung wie das Schleswig-Holsteinische Landesmuseums mit all seinen Dependancen auch administrativ bewältigt, bleibt abzuwarten. Das Marcks-Haus zählt vom Direktor bis zur Reinigungskraft gerade mal ein Dutzend Vollzeitstellen – und rund 20.000 BesucherInnen pro Jahr. Immerhin hat Fitschen bewiesen, dass er – bei aller „Beratungsoffenheit“, die ihm von Kollegen bescheinigt wird – sehr stringent seine Ziele verfolgen kann. Für das Marcks-Haus hat er nicht nur eine umfassende Sanierung durchgesetzt, für deren zweite Phase das Haus ab Sommer für einige Monate schließen wird. Er hat auch einen über Jahre verfahrenen, bei Amtsantritt geerbten Rechtsstreit mit der Stadt um die Höhe der in der Stiftungsurkunde des Marcks-Hauses nur sehr allgemein beschriebenen Unterhaltsverpflichtung weitgehend erfolgreich beendet.
Muss er künftig nicht sogar den Wikinger machen? Zur „Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen“, in deren Vorstand Fitschen aufrückt, gehört unter anderem auch das Museumsdorf Haithabu. „Auch das könnte er“, versichert ein langjähriger Mitarbeiter. In Bremen, muss man schlicht feststellen, fehlte ihm dazu einfach die Gelegenheit. HENNING BLEYL