: „Das Ideal einer Demonstration“
Philip Hersel von Attac Berlin haben die zahlreichen Demo-Besucher überrascht. Dass so viele protestierten, zeigt für ihn die Bereitschaft, die „aktuelle Politik nicht hinzunehmen“
taz: Herr Hersel, 100.000 Teilnehmer bei der Demonstration gegen Sozialabbau am Samstag hier in Berlin. Sind Sie erstaunt?
Philip Hersel: Ja, ich bin positiv überrascht. Es war uns vorher klar, dass die Demo größer wird, als wir ursprünglich angenommen haben. Aber dass sie so groß wird, damit haben wir nicht gerechnet. Es zeigt, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben, und ich hoffe, dass das Ausstrahlungskraft für weitere Demonstrationen haben wird.
Demos in solchen Größenordnungen haben sich in den letzten Jahren vor allem gegen den Krieg gerichtet. Was bedeutet dieser Zulauf?
Dass es uns in kurzer Zeit gelungen ist, so viele Menschen zu mobilisieren, zeigt, wie stark die Bereitschaft ist, die aktuelle Politik nicht hinzunehmen. Die Umfragen belegen schon länger, dass große Unzufriedenheit mit der Bundesregierung herrscht. Aber die Demonstration zeigt, dass die Menschen den Kopf nicht einfach in den Sand stecken wollen. Das finde ich ermutigend.
Viele der Teilnehmer haben sich unterwegs spontan angeschlossen. Zieht das Thema Sozialabbau Menschen an, die sich ansonsten von Demos eher ferngehalten haben?
Ich kann mir das gut vorstellen. Denn es geht um Bedürfnisse, die die Menschen hier und jetzt haben. Es gibt eine klare Botschaft, mit der sie sich identifizieren können. So wie es am Samstag gelaufen ist, entspricht das dem Ideal einer Demonstration: Wir sind nicht durch den Tierpark gezogen und haben den Bäumen etwas erzählt, sondern sind mit den Menschen auf der Straße direkt in Kontakt gekommen.
Ursprünglich war die Demo eine Idee der Marxistisch-Leninistischen Partei (MLPD). Davon war jetzt nicht mehr viel zu spüren. Wie kommt das?
Es war nicht alleine die Idee der MLPD. Wir haben auf einem Ratschlag im September den 1. November als Demonstrationsdatum forciert und mit anderen Gruppen besprochen. Auch aus dem linken Spektrum gab es da Ideen, aber Attac war von Anfang an dabei. Natürlich brauchen wir auch die kleinen linken Gruppen, wenn wir ein breites Bündnis schaffen wollen. Aber Gruppen wie die MLPD bekommen mit ihren Positionen alleine keine solchen Mehrheiten auf die Straße. Wollen sie politisch handlungsfähig werden, müssen sie auch andere Meinungen tolerieren.
Wie geht er jetzt weiter – der Kampf gegen den Sozialabbau?
Ich glaube, die Demo wird weit in das gewerkschaftliche Milieu hineinwirken und der Druck, sich weiter zu engagieren, wird steigen. Denn der Erfolg hat uns die Angst genommen, nicht handlungsfähig zu sein. Ich glaube, dass in den Betrieben eine große Bereitschaft besteht, den Protest zu organisieren. Dafür müssen wir es allerdings schaffen, das Bündnis vom Samstag auszuweiten – ich hoffe hier vor allem, dass sich auch Gruppen aus dem kirchlichen Milieu anschließen.
INTERVIEW: SUSANNE AMANN