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Archiv-Artikel

Das Glück ist ein Omnibus

Dialoge über Stadtlärm, Wüstensand und die fehlenden Töchter der Beduinen: Das Goethe-Institut lud drei deutsche Multimedia-Künstler nach Kairo, damit sie mit ägyptischen Kollegen zusammenarbeiteten. Die Ergebnisse wurden jetzt in Kairo im Rahmen eines „Deutschen Festivals“ präsentiert

Am Anfang zog den Künstler Mahmud Hamdi nichts in die Wüste

von KATJA WINCKLER

Wenn Florian Thalhofer aus dem Fenster seiner Wohnung schaut, blickt er auf einen riesigen Sandhaufen. Dort, am Lehrter Bahnhof in Berlin, entsteht der neue Zentralbahnhof der Hauptstadt. Die Baustellenerde türmt sich so hoch wie ein sechsstöckiges Haus. Ab und zu fotografiert Florian Thalhofer die Leute, die sich auf den Sandberg setzen oder den steilen Abhang herunterrutschen. „Der Sand hat es mir angetan“, spottet der Multimediakünstler aus Berlin.

Das ist offensichtlich. Denn kürzlich zog der 30-Jährige, der auch als Dozent an der Berliner Universität der Künste lehrt, mit seinem Künstlerkollegen Mahmud Hamdi aus Ägypten sogar in die Wüste. Sein Film- und Computer-Equipment nahm er dabei natürlich mit.

Das Goethe-Institut hatte ihn und andere Künstler Anfang Oktober zum „Deutschen Festival“ in Kairo und Alexandria eingeladen. Ein Programmpunkt unter vielen war das „Dar al-Hiwar“, das „Haus der Begegnung“: Drei deutsch-ägyptische Künstlerduos, darunter auch Thalhofer, sollten mehrere Wochen miteinander arbeiten – im Sinne des viel beschworenen Dialogs zwischen Orient und Okzident, was sonst.

Das Festival, das die Eröffnung der Deutschen Universität in Kairo durch Bundeskanzler Schröder und Präsident Mubarak begleiten sollte, war breit gefächert: vom modernen Ballett über einen Trickfilm aus den Zwanzigerjahren – mit orchestraler Untermalung durchs Cairo Opera Orchestra – bis zum Popkonzert der ägyptischen Sängerin Shireen mit Rolf Stahlhofen, einem Mitinitiator der „Söhne Mannheims“.

Bereits im vergangenen Jahr gab es ein solches Festival. Damals hatten Künstler ein ägyptisches Taxi in das Chefzimmer von Johannes Ebert gerollt, dem Leiter des Goethe-Instituts in Kairo. Diesmal sorgte das Stuttgarter Künstlerduo Sylvia Winkler und Stephan Köperl zusammen mit der ägyptischen Keramikerin, Fotografin und Bildhauerin Marwa Zakaria für Aufsehen. Einen Pick-up hatten sie mit einer Holzverschalung, einem Stuhl und einem Mikrofon versehen. Oben prangte der Schriftzug „Ich bin glücklich, weil …“.

Mit diesem „Gücksmobil“ fuhren sie quer durch Kairo und stoppten im Armenviertel Agouza ebenso wie im In-Bezirk Doqqi. Von den Reaktionen waren sie überwältigt. „Die Ägypter sind die perfekten Selbstdarsteller“, staunt Stephan Köperl. Die Äußerungen der Teilnehmer, die er für sein Projekt aufzeichnete, reichten von Allgemeinplätzen wie „Ich bin glücklich, weil mein Sohn seinen Schulabschluss geschafft hat“ bis hin zu „weil der Tourismus bei uns so gut läuft und die Brotpreise so niedrig sind“ – eine ironische Anspielung auf die miserable Wirtschaftssituation im Nilland.

Der Berliner Klangkünstler und Musiker Oliver Doerell und sein Partner Mahmud Refat aus Kairo dagegen hatten die Eigenheiten ihrer Heimatstädte akustisch eingefangen. In einem Raum, der nur von jeweils fünf Personen betreten werden durfte, konnte man sich unter Lampenschirme mit Kopfhörern setzen und dort mit elektronischen Klängen verwobenen, deutsch-arabischen Wortfetzen lauschen.

Florian Thalhofer und Mahmud Hamdi indes ließen den tosenden Lärm der 16-Millionen-Stadt Kairo hinter sich. Sie gingen in die Wüste zu den Beduinen. Sein ägyptischer Kompagnon war zuerst dagegen. „Doch dann war er von den Leuten, mit denen er sonst ja nie zu tun hat, genauso begeistert wie ich“, erzählt Florian Thalhofer.

Mehrere Tage besuchten die beiden die Beduinen, die zurückgezogen vom Verkauf von Kamelen und aufgemöbelten Autos leben, und filmten dort. Ihr Projekt nannten die Künstler „Seven Sons“. Denn auf die Frage, wie viele Kinder das Familienoberhaupt habe, kam die Antwort: „Sieben Söhne.“ Pause. „Und sechs Töchter.“ Die haben die Künstler übrigens nie zu Gesicht bekommen. Diese filmische Art der Erzählung hat er inzwischen zum Prinzip erhoben: die interaktive Narration ist Thalhofers Spezialgebiet, das er an internationalen Medienschulen und an der Universität der Künste in Berlin unterrichtet. Er hält diese Erzählweise für geeignet, um unterschiedliche Welten und Wahrnehmungen darzustellen, denn: „Die Wahrheit gibt es nicht.“

Auf der Ausstellungseröffnung vom „Haus der Begegnung“ gab es für das Beduinenprojekt neben viel positiver Resonanz allerdings auch Kritik. „Warum haben Sie Ihren Film über die schlichten Beduinen gedreht und nicht über uns normale Kairoer?“ war eine häufig gestellte Frage der ägyptischen Besucher. Solche Kritiker hätte Florian Thalhofer am liebsten dorthin geschickt, wo er kurz zuvor gewesen war: in die Wüste.

www.7sons.com