: „Deutsche: Müllschlucker Europas“
Schlechte Zutaten, guter Geschmack: Mit viel Chemie führe die Lebensmittelindustrie die Verbraucher in die Irre, beklagt Lebensmittelchemiker Pollmer. Die misstrauischen Kunden akzeptierten höhere Preise nicht, auch nicht für Qualitätsprodukte
Interview MAREKE ADEN
taz: Herr Pollmer, nennen Sie doch mal ein besonders schlimmes Beispiel für unsere Lebensmittel. Was sollte ich im Supermarkt nicht kaufen?
Udo Pollmer: Da gibt es unzählige Beispiele. Die Deutschen sind bekannt als Müllschlucker Europas. Wenn irgendwo etwas durchs Raster fällt, was niemand mehr kaufen will, dann stehen die Chancen gut, dass es in Deutschland landet. Die Deutschen kaufen nur nach Preis und Aussehen der Verpackung.
Was ist denn so schlecht an schön verpackten Fertigprodukten?
Das Problem von Fertigprodukten ist, dass es sich beim Verzehr im Mund so anfühlen sollte wie frisch zubereitet. Aus Tomatensuppenpulver wird dann Tomatensuppe mit „Fruchtfleisch“. Aber im Magen wirkt das dann nicht mehr wie Fruchtfleisch.
Aber den Leuten schmeckt es.
Das lassen sich die Fooddesigner nicht nehmen. Mit Aromen und Mundgefühlregulatoren bauen sie jeden Geschmack so, dass er wie echt wirkt. Die Industrie spart dadurch viel Geld: Wenn statt echtem Safran Safranaroma verwendet wird, dann ist das einfach sehr viel billiger. Mit dem Geschmacksdesign werden also teure Rohstoffe gespart. Es wird nicht nur der Gaumen getäuscht, sondern auch der Geldbeutel. Ein Produkt, das dank Aroma und Geschmacksverstärker wie echtes Fleisch schmeckt, hat nicht dieselbe Sättigungswirkung wie echtes Fleisch. Das gleicht der Mensch dann später durch einen Schokoriegel wieder aus. In Tests zu Diätprodukten hat man diesen Effekt genau untersucht. Am Ende habe ich genauso viel ausgegeben, wie wenn ich von vornherein Fleisch statt nur Aroma gekauft hätte.
Sie haben dem Tiefkühlkost-Unternehmen Frosta geraten, die künstlichen Stoffe aus ihren Produkten zu verbannen. Das hat Frosta gemacht und verzeichnet jetzt drastische Umsatzverluste. Sind die Verbraucher schizophren, sagen sie nur, dass sie gutes Essen wollen, und kaufen dann doch immer nur das Billige?
Die wirtschaftliche Lage ist derzeit sehr ungünstig: Der Mittelstand rennt inzwischen geschlossen zu Aldi und Lidl.
Sind Sie nicht trotzdem enttäuscht vom Verbraucher?
Der Verbraucher verhält sich nur logisch. Er ist jahrzehntelang beschissen worden. Er glaubt den Slogans nicht mehr, egal ob „Premium“, „ganz neu“ oder „natürlich“. Zudem liest er regelmäßig, dass Markenartikel identisch mit No-Name-Produkten sein sollen. Wer sowieso betrogen wird, kauft das Billigste. Was mich aber in der Tat enttäuscht, ist, dass die Medien so wenig über diese Innovation berichtet haben.
Die Journaille ist schuld?
Immer wenn etwas schief läuft, lese ich: Der Verbraucher ist schuld, er muss sein Kaufverhalten ändern, er muss mehr Geld fürs Essen ausgeben. Aber der Preis allein sagt noch gar nichts aus. Richtig einkaufen kann man nur mit Informationen darüber, was gut ist. Es ist zum Beispiel ein Unterschied, ob ich schreibe „ohne Aromastoffe“ oder „ohne künstliche Aromastoffe“. Diese sind ohnehin weitgehend verboten, doch das bedeutet noch lange nicht, dass auf synthetische Stoffe verzichtet wird, von denen es tausende gibt. Das muss man aber einfach wissen. Man kann nicht den Verbrauchern die Schuld in die Schuhe schieben und immer wieder „Klasse statt Masse“ fordern, ohne dann später richtig zu informieren.
Journalisten können nicht die Werbung ersetzen?
Über jede neue Schraube in einem BMW schreiben Fachjournalisten euphorisch. Über Frosta hat so gut wie niemand geschrieben, noch nicht mal negativ.
Vielleicht war das, was Frosta gemacht hat, nicht neu genug?
Es ist neu! Ich war ja selbst schon so weit, dass ich gedacht habe: Ohne faule Tricks kann man gar kein Fertigprodukt herstellen. Aber es geht. Frosta hat 50 Beispiele im Sortiment, die zeigen, dass Tiefkühlkost fast identisch sein kann mit einem selbst gekochten Gericht – im Geschmack und in der Qualität.
Das sagen Sie jetzt, weil Sie von Frosta bezahlt werden.
Machen Sie mir das zum Vorwurf? Ich habe die krummen Touren der Lebensmittelwirtschaft oft genug angeprangert. Wenn man dann die Möglichkeit hat, an etwas Vorbildlichem mitzuwirken, dann gibt es kein Zurück. Außerdem ist meine Beratertätigkeit vorbei.