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Archiv-Artikel

Ersatz-Union rebelliert gegen offizielle CDU

In Ratingen hat die CDU bei der Kommunalwahl nach jahrzehntelanger Herrschaft nicht nur den Bürgermeister-Posten verloren. Eine Gegen-CDU namens „Bürgerunion“ strebt jetzt auch die Ratsmehrheit in der Niederrhein-Stadt an

RATINGEN taz ■ In Ratingen am Niederrhein kämpft die CDU gegen die „Real CDU“. Wie die militanten katholischen Besatzungsgegner in Nordirland sind die Konservativen in der 90.000-Einwohner-Stadt (Reklameslogan der Stadt: „Rheinisches Flair und bergische Wurzeln“) gespalten. Erst verloren die Christdemokraten bei der Kommunalwahl den Bürgermeisterposten an Harald Birkenkamp, den Kandidaten der CDU-Ersatzpartei „Bürgerunion“. Jetzt expandiert die vermeintlich „richtige“ CDU auch im Rat. Unter Führung der Bürgerunion zeichnet sich eine Anti-CDU-Mehrheit im Stadtparlament ab.

Weil zwei unabhängige Ratsmitglieder jetzt zur Gegen-CDU übergelaufen sind, könnten Bürgerunion, SPD und andere Kleinparteien eine Mehrheit gegen die jahrzehntelang regierenden Konservativen bilden. Während die CDU in einer Erklärung noch über das „niederschmetternde Wahlergebnis“ lamentiert und eine „selbstkritische Analyse der Wahlergebnisse“ ankündigt, rückt ein einzelner Stadtverordneter in die Rolle des Königsmachers. Manfred Evers, Stadtrat der „Ratinger Linken“, könnte fortan Zünglein an der Waage spielen. Doch Evers will seine Stimme keinem Lager fest versprechen, sondern autonom bleiben: „Wir entscheiden von Fall zu Fall und orientieren uns an inhaltlichen Fragen.“ Er werde nicht nach Machtkalkül abstimmen, so Evers zur taz. Politisches Ziel seiner Gruppierung sei es, sich für die sozialen Belange benachteiligter Mitbürger wie Arbeitslose und Migranten einzusetzen.

Im Frühjahr hatte sich die alternative Bürgerunion von den offiziellen Unionschristen abgespalten. Rund 100 Christdemokraten hatten zuvor versucht, den damaligen Ratinger CDU-Bürgermeister Wolfgang Diedrich zu stürzen. Der CDU-dominierten Stadtverwaltung warfen sie Misswirtschaft und Inkompetenz vor. Besonders der geplante Verkauf der Stadtwerke durch die CDU/FDP-Stadtregierung regte die Aufständischen aus dem CDU-Ortsverband Ratingen-Eggerscheidt auf. „Der Bürgermeister hat keine Ahnung, wie man eine Verwaltung führt“, sagte Lothar Diehl, Anführer der Rebellen und mittlerweile Fraktionschef der Bürgerunion im Stadtrat. Er und seine Mitstreiter seien von der örtlichen CDU gemobbt worden. Der politische Racheakt der Dissidenten endete am Wahlsonntag mit einem politischen Erdrutsch. Die CDU sackte am 26. September von 51,8 auf 34,7 Prozent ab und fuhr damit ihr schlechtestes Ergebnis nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Die neue Bürgerunion schaffte auf Anhieb 21,7 Prozent.

Damit hat der Kampf zwischen den auch persönlich verhassten Konservativen erst richtig begonnen. Susanne Stocks, Fraktionschefin der Ratinger Grünen, bezeichnete die neue politische Konstellation nach der Wahl als „worst case“ für die Stadt. Stocks Vorahnung am Wahlabend: „Der Zank und Streit geht jetzt noch schlimmer weiter!“ Mit ein paar Tagen Abstand überwiegt bei der Grünen-Frau dennoch der Optimismus. Ihren Konfrontationskurs könnten CDU und Bürgerunion nicht fünf Jahre lang durchhalten, glaubt Stocks: „Vielleicht setzen sich die Vernunftbegabten auf beiden Seiten ja doch noch durch.“

MARTIN TEIGELER