: Und ewig wandelt sich der Blick
Klar gegliedert: Erste Schau im Hamburger „Internationalen Haus der Fotografie“ präsentiert 400 Lichtbilder aus der Sammlung des Gründungsdirektors F. C. Gundlach
30 Jahre liegen zwischen den Fotos. Das eine, 1970 in Schwarzweiß vom französischen Fotografen Jeanloup Sieff aufgenommen, zeigt einen träumerisch blickenden jungen Mann. Mit gekreuzten Beinen sitzt er auf Lederkissen. Ein Beau, der nichts trägt außer einer schwarzen Brille. Das andere, im Jahr 2000 von Jürgen Teller aufgenommen, zeigt einen fröhlichen älteren Mann. Sein nach hinten gekämmtes Haar begrenzt den oberen Bildrand, Krawattenknoten, Hemd und Jackett schließen das Foto unten ab. Er trägt eine schwarze Brille.
Zwei Fotos, die nebeneinander in der Ausstellung „A Clear Vision – Photographische Werke aus der Sammlung F. C. Gundlach“ hängen und auf den Punkt bringen, wie sich innerhalb weniger Jahrzehnte nicht nur der Modemacher Yves Saint-Laurent verändert hat – nur die Brillenform ist gleich geblieben –, sondern auch der fotografische Blick auf den Menschen. Oder genauer: die Blicke. Denn wenn diese erste Schau im „Internationalen Haus der Fotografie“ eins zeigt, dann dies: Mag die in Fotokunst verwandelte Wahrnehmung des Menschen immer vom Zeitgeist geprägt sein, die Vielfalt der individuellen Blicke ist verblüffend.
Aus der 12.000 Fotos umfassenden Sammlung F. C. Gundlach hat der langjährige Deichtorhallen-Direktor Zdenek Felix 400 Exponate von 56 Künstlern ausgewählt, großteils aus den letzten 50 Jahren. Seine Auswahl, bewusst subjektiv, lässt die Modefotografie außen vor. Dass die erste Ausstellung in der umgewidmeten südlichen Deichtorhalle, die sich seit dem 1. September „Internationales Haus der Fotografie“ nennt, Teile der Sammlung Gundlach zeigt, ist kein Zufall, heißt der Gründungsdirektor doch F. C. Gundlach. Zwar hatten Felix und Gundlach schon früher geplant, Teile der Sammlung zu zeigen, doch seitdem hat sich einiges geändert: Der Sammler wurde Gründungsdirektor, der Deichtorhallenleiter erster Gastkurator des umbenannten Hauses, das sich als „in Deutschland einzigartige Institution für das Medium Fotografie“ versteht. Trotz veränderter Rollen beteuern beide, wie harmonisch ihre Zusammenarbeit verlief. Harmonisch wirkt auch diese Schau. Trotz der Vielzahl an Positionen ist die Hängung klar gegliedert – und macht neugierig auf mehr Werke aus der Sammlung, die als Dauerleihgabe dort einziehen wird.
Werke von Fotografen, die aus der Malerei kommen – wie Albert Oehlen und Werner Büttner – sind in der Schau ebenso Schwerpunkt wie die inszenierte Fotografie. Viel Raum bekommt Cindy Sherman, auch Erwin Blumenfeld ist vertreten. Entdeckungen sind Josef Koudelka oder Evgenij Mochorev, die in Schwarzweiß eine trostlose Realität einfangen. Oder Evelyn Richters Porträts von Zugreisenden und Ute Mahlers Home-Stories, die von der emotionalen Eiszeit in der DDR der 70er- und 80er-Jahre erzählen.
Natürlich sind auch Ikonen der Fotografie zu sehen: Irving Penns Künstlerporträts, Bilder aus Robert Franks Serie „The Americans“. Jüngere Künstler wie Wolfgang Tillmans, Michael Najjar oder Katharina Bosse zeigen intime bis kalte Porträts. Und dann ist da noch ein Foto von Herbert Tobias zu sehen, das 40 Jahre nach seiner Entstehung nur deshalb befremdet, weil man die Zukunft des mit nacktem Oberkörper abgebildeten jungen Mannes mitdenkt. Es ist Andreas Baader. KARIN LIEBE
Internationales Haus der Fotografie, Deichtorhallen, Hamburg. Tägl. außer Mo., 11–18 Uhr; bis 25.1.2004