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Archiv-Artikel

Play in the Pulverschnee

Daddeln in der ganzen Welt: Am Wochenende wurde in Mitte eine neue Bar eröffnet. Mit der X-Box-Lounge will Microsoft seine Spielkonsole X-Box von dem Ruf befreien, auch nur ein weiteres Zockgerät für pickelige Halbwüchsige ohne Freunde zu sein

von TILMAN BAUMGÄRTEL

Eine drängelnde Menschentraube in dicken Jacken vor dem Eingang, Türsteher, die die Leute einzeln einlassen und dann auf langen Gästelisten nach deren Namen suchen, MTV-Moderatoren, die am Mob vorbeigewunken werden – das alles signalisiert hohen Wichtigkeitsfaktor, wie bei der Eröffnung eines neuen Clubs in Berlin so üblich. Selbst die Location stimmt: In einem renovierungsbedürftigen, ehemaligen Kaufhaus aus den Zwanzigerjahren, in dem zu DDR-Zeiten die staatliche Planungsbehörde für Mode war, hat sich die neue Bar eingerichtet; also stilsicher in einer der Zwischennutzungs-Immobilien, wie sie als Ort fürs Nachtleben in Mitte langsam rar werden.

Doch die Lounge, die am vergangenen Wochenende gegenüber vom Weinberg-Park eröffnet wurde, unterscheidet sich von den Clubs, die sonst in dieser Gegend auf- und wieder zumachen. In der X-Box-Lounge soll weniger getanzt und getrunken, sondern vor allem gespielt werden. Microsoft will mit der Kneipe seine Spielkonsole X-Box bewerben und Computerspiele für ein Publikum jenseits des Teenageralters akzeptabel machen. 100 Tage soll die X-Box-Lounge geöffnet bleiben, am 31. Januar wird der Laden wieder geschlossen.

Ist man ins Innere des Clubs vorgedrungen, findet man sich wieder in einer halbdunklen Wohnzimmerlandschaft mit schwarzen Möbeln, aus deren Fugen das X-Box-Giftgrün hervorleuchtet. Das Logo der Spielkonsole ist vergleichsweise diskret über der Bar angebracht, auf der Getränkekarte gibt es einen „X-Box-Cocktail“, auch er in schreiendem Neongrün. In der Ecke steht ein DJ und legt Platten auf. Aber statt einer Tanzfläche beschallt er Paare und Gruppen, die sich mit Gamepad in der Hand auf den Sofas lümmeln und auf die Flachbildschirme vor sich starren. Dort flitzen Autos durch die Innenstadt von Moskau oder Florenz, rasen Snowboarder durch aufstäubenden Pulverschnee, fliegen Tennisspieler über den halben Court, um einen Ball zurück ins Feld des Gegners zu schmettern. Viel Chancen hat der DJ dagegen nicht – auch weil die meisten Spieler noch Kopfhörer mit Kehlkopfmikrofonen tragen, über die sie mit ihrem Gegner palavern.

Denn die verschiedenen Spielkonsolen sind über ein eigenes Netzwerk miteinander verbunden, über das man nicht nur gegeneinander spielen, sondern auch chatten kann. „It’s good to play together“, steht auf den T-Shirts der Bedienungen hinter der Bar, der neue Werbespruch der X-Box. Nachdem man Computerspiele am PC bereits seit einiger Zeit über das Internet gegeneinander spielen kann, gehen jetzt auch die Spielkonsolen online. Die Playstation 2 und die X-Box bieten beide Modemadapter und ein eigenes Hochgeschwindigkeits-Netzwerk an, um mit Gamern in der ganzen Welt daddeln zu können.

Um diesen Effekt zu demonstrieren, ist die Berliner X-Box-Lounge mit drei anderen Game-Kneipen in Hamburg, München und Düsseldorf vernetzt. Webcams zeigen die Spieler in den anderen Städten. So will Microsoft die X-Box von dem Ruf befreien, nur ein weiteres Zockgerät für pickelige Halbwüchsige ohne Freunde zu sein. „Social Gaming“ nennt der Konzern die Strategie, die Computerspiele als Gruppenaktivität für Erwachsene gesellschaftsfähig zu machen. So wie man früher am Abend eine Partie Skat gegeneinander gespielt hat, soll man nun über das Netz mit Freunden eine Runde digitales Tennis zocken. Ausdrücklich macht die X-Box-Lounge erst um 20 Uhr auf, um nicht zum nachmittäglichen Pennälertreffpunkt zu werden. Das Zocken an den Konsolen ist umsonst – sonst könnte das Ordnungsamt die X-Box-Lounge als eine Spielhalle betrachten.

„In Deutschland haben wir immer noch ein Riesenproblem mit der Akzeptanz von Computerspielen“, sagt Boris Schneider-Johne, der deutsche Marketing-Manger der X-Box. „In den USA und England sind Games eine vollkommen akzeptierte Freizeitbeschäftigung – auch für über 30-Jährige. Aber in Deutschland haben Computerspiele immer noch einen ganz schlechten Ruf.“ Rechtzeitig zur Vorweihnachtszeit hat Microsoft darum in Berlin seine Lounge eröffnet. Der Konzern hat Einrichtung, Möbel und Werbung der Lounge bezahlt, ein Berliner Gastronom übernimmt die Bewirtschaftung der Bar.

Microsoft war erst vor anderthalb Jahren in den Markt für Computerspiel-Konsolen eingestiegen und kämpft seither mit harten Bandagen um die Marktführerschaft. Die X-Box ist der Versuch von Microsoft, auch im höchst lukrativen Konsolenspielmarkt Fuß zu fassen, nachdem das Unternehmen den Bereich der Privat- und Bürosoftware schon lange dominiert. Noch ist man mit der X-Box die Nummer zwei im deutschen Markt hinter der Playstation 2 von Sony und vor Nintendos Gamecube.

Täglich 20–1 Uhr, Brunnenstr. 19–21, Mitte