: Hier wohnt jetzt McKinsey
Wenn in einer mittelständischen Wohngemeinschaft umstrukturiert werden muss
Ungeheuer ist ja bekanntlich viel, doch nichts ist ungeheurer als der McKinsey-Mensch. Besonders, wenn er Ulf heißt, ein Zimmer sucht und ratzfatz in deine WG einzieht, während du nicht da bist. Genauer: in meine WG zieht, während ich nicht da bin. „Wir haben schnell einen Zwischenmieter gebraucht – und weil Anke abgesagt hat …“ Die Mitbewohner verdrehen entschuldigend die Augen und fliegen schnell für sechs Wochen nach Gomera. Und ich sitze plötzlich da mit einer Kreatur wie aus dem Klischeebilderbuch – nur dass ich das Buch nicht einfach weglegen kann. McKinsey ist also überall – und jetzt leider auch in unserer Wohngemeinschaft.
McKinsey ist ein schwäbischer Bub und heißt Ulf. Obwohl er erst knapp der Pubertät entronnen ist, hat er schon viele Praktika gemacht und eine Glatze mit Haarkranz entwickelt. Morgens, wenn er sich in seinen Anzug zwängt und die Krawatte so fest zuzurrt, dass er am Hals rote Flecken bekommt, tut er mir leid. Wie ein Wurm sieht er dann aus, ein McKinsey-Wurm mit Glatze.
Ulf muss sehr viel arbeiten. Aber Ulf arbeitet nicht nur bei McKinsey, Ulf lebt für McKinsey. Durch und durch. Auch in der Freizeit, von der er allerdings nicht allzu viel hat, weil er jeden Tag von 7 bis 23 Uhr arbeiten muss. Nach Hause darf er erst, wenn sein persönlicher Vorgesetzter ihn aus dem Büroknast entlässt.
Deshalb muss Ulf mehr auf seine „work-life-balance“ achten, sagt er und sitzt manchmal am Wochenende auf dem Balkon herum und spricht. Wenn Ulf spricht, kommen immer seltsame Wörter aus seinem Mund. „Cash-Maschine“, „Humankapital“, „Synergien“. Zu allem hat Ulf eine Meinung. Exakt 98,9 Prozent aller Arbeitslosen, doziert er, seien arbeitsscheu, und wer nicht arbeiten wolle, der sei ja wohl das Letzte überhaupt. Arbeitsscheue solle man vom Balkon werfen.
Aber auch zu weltpolitischen Fragen ist Ulf nie um einen Vortrag verlegen. Putin müsste dies und Bush müsste jenes, und Rosa Luxemburg war eine dumme Sau. Meint er. So geht es manchen Abend lang, und Ulf wird selten müde, seine Ansichten zu verbreiten.
Manchmal kommen seine Freunde, geschleckte Gestalten aus der BWL-Hölle, mit penetrantem Dauergrinsen und allesamt schwer auf dem Weg nach oben zum großen Geld. Dann erzählen sie sich, wie sie früher in die Sauna gepisst haben und wie eklig die Uschi mit den Haaren auf den Beinen war und wie viel sie gesoffen und wie wenig sie geküsst haben. Letzteres erzählt Ulf selbstverständlich nicht, aber Frauen kommen in seinen Vorträgen selten vor.
Wenn Ulf dann so richtig in Fahrt ist, spricht er über seine linke Vergangenheit. Vergangenheit ist zwar bei einem Jungspund wie ihm ein etwas hoch gegriffenes Wort, aber Ulf will damit nur sagen, dass diese Zeit für ihn so lange vorbei ist, dass er meint, damit prahlen zu können wie Friedrich Merz mit seinen wilden Mofafahrten. Mit langen Haaren, erzählt dann der frühverglatzte Ulf, sei er bekifft im Jugendclub Sowieso im schwäbischen Heimatort gestanden, und dann habe ihn sein Bankervater mit der S-Klasse der Fahrbereitschaft abgeholt, habe ihm so was von den Arsch versohlt, und ab dann sei Schluss gewesen mit lustig.
Neulich ist Ulf nach Berlin gefahren. Zur großen Party von McKinsey. Ein großes Fest sollte es werden, mitten in der Hauptstadt, mit einem Buffet Unter den Linden. Blöderweise hatten die Autonomen zur „Armenspeisung“ aufgerufen, und die Stimmung in Berlin war nicht gerade für McKinsey. Aufgeregt ist Ulf deshalb vor der WG-Waschmaschine hin- und hergesprungen. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Die Wäsche musste fertig werden, weil vom McKinsey-Chef die Anweisung ergangen war, in Zivilklamotten die Reise nach Berlin anzutreten, damit man von Demonstranten nicht erkannt werden könne. Der Mob habe sich dort angekündigt, meinte Ulf. Er werde die Demonstranten mit Kaviar beschmeißen.
„Liebe Grüße aus Berlin, bin heute Abend nicht da, muss zur Demo gegen McKinsey“, meldete sich der Mob in Gestalt meines Freundes auf dem Anrufbeantworter. Ulf habe ich davon lieber nichts gesagt. Als Ulf zurückkam, war er geknickt. 900 Polizisten hätten das Fest abriegeln müssen. Mörder sei er genannt worden, das sei gemein, sagte er. Und er werde nicht gern beim Essen gestört.
Beim Essen ließ sich Ulf in der WG auch nicht mehr stören. Zwar kochte er nie, und auch das Einkaufen war gar nicht sein Ding, aber dafür wusch er auch nicht ab und hielt sich vom Putzlappen fern. Dies sei eine „Wohlfühl-WG“, in der er sich rundum super fühle, ließ er mich einmal wissen, als ich knapp davor war, ihm den Hals umzudrehen.
So kam es, dass wir zu einer konsequenten Umstrukturierung unseres mittelständischen WG-Betriebs gezwungen waren. Wir mussten einfach Personal verschlanken, Humankapital abbauen und Synergien nutzen. Wir mussten Ulf kündigen. Er hat selbstverständlich nicht geweint, sondern gleich einen Makler und eine Spedition beauftragt. McKinsey geht. Und das ist doch schon mal ein Anfang.
MATTHIAS THIEME