: Deutsche Tränen auf Big Island
Normann Stadler radelt wie besessen und gewinnt als zweiter Deutscher den Ironman von Kona – Nina Kraft ist bei den Frauen die Schnellste
VON SEBASTIAN MOLL
Normann Stadlers Freundin, die Medizinstudentin Sarah, stand schon eine Viertelstunde in Tränen aufgelöst am Pier von Kailua Kona, als ihr Lebensgefährte endlich den Alii-Drive herunter getrabt kam. Dass Stadler den mit zehn Minuten doch recht deutlichen Vorsprung vor dem Dreifachsieger Peter Reid nicht mehr hergeben würde, war schon seit mindestens einer Stunde klar, und so konnte Sarah ihre Rührung nicht mehr zurückhalten.
Anders Normann Stadler: Erst wenige hundert Meter vor dem Ziel ließ er seine Konzentration ein wenig aufbrechen und erlaubte es sich, jubelnden Zuschauer am Straßenrand zuzuwinken. Umso heftiger brachen dann jedoch die Gefühle aus ihm heraus, als er nach achteinhalb Stunden in der schwülen Äquatorhitze der Pazifikinsel in den Armen seiner Freundin lag. Und so klammerte sich das Paar, von ihrer Rührung übermannt, aneinander und schluchzte hemmungslos in den Tropennachmittag hinein.
Keine halbe Stunde später rannte Nina Kraft den Alii Drive, die Strandpromenade des Ferienortes Kona, herunter und wie Stadler ließ auch Kraft die Anspannung des langen Tages erst auf der Zielgeraden ein wenig weichen, um ihren Sieg beim wichtigsten und größten Rennen des Triathlonsports zusammen mit den Zuschauern zu feiern. So ungehemmt wie Stadler gab sich Kraft jedoch auch wieder nicht hin, nachdem sie die Ziellinie überquert hatte. Nina Kraft hob lediglich kurz die Arme zur Siegerpose, als sei ihr schon das eine viel zu beschwerliche Pflicht, und stammelte nur in brüchigem Englisch: „Das war das härteste Rennen meines Lebens.“ Dann ließ sie sich zur dringend nötigen medizinischen Versorgung abtransportieren.
Zu patriotischen Äußerungen ob des deutschen Doppelsieges war Nina Kraft jedenfalls nicht mehr im Stande, sie rang sich gerade noch, vom Zielsprecher dazu gedrängt, ein Lob an das einheimische Publikum ab. Ganz anders Normann Stadler, der noch immer mit feuchten Augen auch davon gerührt war, dass er sieben Jahre nach Thomas Hellriegel erst der zweite deutsche Ironman-Sieger geworden ist. Ein Traum sei das – und Wahnsinn, sagte er noch kurz, aber das war dann auch schon der deutschen Gefühle genug auf Big Island.
Die einzige deutsche Fahne, die im Ziel geschwenkt wurde, war die bayerische, die der irakischstämmige Münchner mit dem urbayerischen Namen Faris Al-Sultan ins Ziel trug, um seinen tollen dritten Platz hinter Vorjahressieger Peter Reid zu feiern.
Stadlers Gefühligkeit nach seinem Sieg hatte seinen Grund wohl weniger in nationalen Wallungen, als vor allem darin, dass er diesem Erfolg Zeit seiner Sportlerlaufbahn hinterhergejagt ist. „Besessen“, fand Faris Al-Sultan Stadler etwa, nachdem die beiden gemeinsam ein Trainingslager in Kalifornien absolviert hatten. Stadler war 1994 mit 21 Jahren Weltmeister im Duathlon – einer Kombination aus Radfahren und Laufen. Er galt seither als das große Talent im Multisport, doch er konnte das Versprechen, das er mit seinem damaligen Sieg gegeben hatte, lange Zeit nicht einlösen.
Sechs lange Jahre hat es gedauert, bis er im Jahr 2000 in Hawaii Dritter wurde und aus dem Schatten der deutsche Ironman-Stars Thomas Hellriegel, Lothar Leder und Jürgen Zäck trat. Doch selbst danach traute ihm noch niemand so recht zu, in Hawaii zu gewinnen – zu impulsiv und unkontrolliert sei er im Wettkampf, wurde ihm unter anderem vorgeworfen, weil er stets auf dem Rad davonbrauste, als sei der Triathlon danach schon zu Ende. Doch Stadler änderte seine Taktik nicht, auch nicht, nachdem er 2002 in Hawaii völlig eingebrochen und mit stundenlanger Verspätung ins Ziel gekommen ist.
Auch in diesem Jahr ging Stadler wieder mit der Brechstange an das Rennen heran, und als er nach der Radstrecke 22 Minuten vor Titelverteidiger Reid lag, glaubten viele, dass mit Stadler eben wieder einmal das Temperament durchgegangen war. Doch diesmal hielt Stadler durch und zeigte es seinen Kritikern wie seinen Rivalen – trotz einer furiosen Aufholjagd beim Marathon kam etwa Peter Reid nicht mehr an den Pforzheimer heran. Und so war das Schluchzen des Normann Stadler im Ziel auch das Schluchzen von einem, der nach zehn langen Jahren endlich bewiesen hat, woran er selbst und nur er selbst eisern geglaubt hatte.
Ganz anders Nina Kraft: Den Ironman-Sieg als Ziel steckte sie sich erst, als es gar nicht mehr anders ging. Ihre ersten großen Erfolge erzielte sie, als sie schon 30 war – und neben dem Training noch ihrem Beruf als technische Zeichnerin nachging. In der Weltelite angekommen, nahm sie dann nolens volens das Profi-Dasein hin, aber selbst nachdem sie 2001 Zweite auf Hawaii geworden war, wollte sie von einem möglichen Sieg erst einmal nichts wissen: „Ich möchte für mich ein gutes Rennen hinlegen“, wiederholte sie immer wieder beinahe trotzig, um zu betonen, dass sie sich von nichts und niemandem unter Druck setzen lassen will.
Als sie im vergangenen Jahr in einem harten Duell um Platz zwei erst kurz vor dem Ziel nachgeben musste, stachelte sie das dann scheinbar aber doch an. Sie trainierte das Laufen wie nie zuvor und gewann im Juli schon den Ironman von Frankfurt in einer der besten im Triathlon je erreichten Zeiten. „Da hat man dann den Hawaii-Sieg schon im Hinterkopf“, gab ihr Trainer und Lebensgefährte Martin Malleier zu. An solchem Favoritendruck wird sie in Zukunft wohl nicht mehr vorbeikommen.
Von Normann Stadler ist hingegen am Samstag in den Armen seiner Freundin der Druck eines qualvollen Jahrzehnts gewichen.