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Archiv-Artikel

Israel beendet die Gaza-Offensive

Im Rahmen der Operation „Tage der Antwort“ wurden 137 Palästinenser und zwei Israelis getötet. Hauptleidtragende war die Zivilbevölkerung. Armee und Hamas reklamieren nun den Sieg für sich. An ein Ende der Gewalt glaubt jedoch niemand

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Nach 17 Tagen der Gefechte im nördlichen Gaza-Streifen und 139 Beerdigungen reklamieren die israelische Armee und die islamistische palästinensische Organisation Hamas den Siegertitel für sich. Die Militäreinheiten zogen sich am Wochenende bis auf einen Kilometer westlich der Grenze innerhalb der besetzten Regionen zurück. Das Hauptziel der Operation „Tage der Antwort“, eine „drastische Reduzierung des Beschusses durch Kassam-Raketen“, sei erreicht worden, erklärte der israelische Verteidigungsminister Schaul Mofas im Verlauf der sonntäglichen Regierungssitzung. Erst am Wochenende waren indes erneut Raketen abgefeuert worden. Hamas kündigte nach der „ernsten Niederlage des Feindes“ eine Fortsetzung des Beschusses an.

Fest steht einzig der Verlierer: Die palästinensische Zivilbevölkerung in Beit Hanun und im Flüchtlingslager Dschabalia wurde zum Opfer der gnadenlosen Vorgehensweise beider Seiten. Etwa 40 Prozent der Toten, so berichtete die israelische Menschenrechtsorganisation Betselem bereits nach der ersten Woche der Operation, seien Zivilisten. Auch die auflagenstärkste israelische Tageszeitung Jediot Achronot vermutet, dass nur etwa 100 der insgesamt getöteten 137 Palästinenser bewaffnet gewesen sind.

Rund 100 Häuser seien zerstört worden, gibt Kenneth Roth von der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch an. Die Gebäude seien „völlig willkürlich und unter dem Vorwand, man wolle den Raketenbeschuss stoppen“, abgerissen worden. Tatsächlich habe die Invasion vor allem in Dschabalia „nichts damit zu tun. Es gibt viele andere Regionen und Häuser, aus denen die Kassam-Raketen abgefeuert werden könnten.“

Hamas, die israelischen Berichten zufolge hinter der Raketenbedrohung steckt, interessiert der Tod und die Verletzung Unbeteiligter genauso wenig wie die Armee. In der vergangenen Woche veröffentlichte die spirituelle Führung der Bewegung eine Art Freipass für den Widerstandskampf. Die neue religiöse Anordnung erlaubt dem gläubigen Kämpfer die Zerstörung oder Sprengung – etwa per Selbstmordanschlag – auch eines palästinensischen Wohnhauses, sollten sich in dem Gebäude israelische Soldaten aufhalten. Berichten zufolge soll in mindestens einem Fall ein bewohntes Haus in Dschabalia von palästinensischen Kämpfern zum Einsturz gebracht worden sein.

Aus Sorge um die Zivilbevölkerung hatte das palästinensische Parlament Hamas schon vor Monaten aufgefordert, das Abfeuern von Raketen aus dem Gaza-Streifen auf israelisches Gebiet einzustellen. Stattdessen wird aufgerüstet. Erst vor wenigen Tagen feierte das leicht verbesserte „Kassam-3“-Modell Premiere. Es kann vom nördlichen Gaza-Streifen aus die israelische Hafenstadt Aschkelon erreichen.

Der noch andauernde Kampf ist strategisch betrachtet für beide Seiten unsinnig. Es ist absurd, wenn Hamas sich zum Sieger erklärt und übersieht, dass 2 israelischen Todesopfern 137 palästinensische gegenüberstehen. Auch hat die israelische Armee nicht das angestrebte Ziel erreicht, solange weiter Raketen abgeschossen werden.

Die Konfliktparteien befinden sich mit Blick auf einen israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen im Wettstreit um die Auslegung der Entwicklungen. Israels Premierminister Ariel Scharon setzt alles daran, dass der Rückzug nicht als Kapitulation erscheint, während die Hamas genau das anstrebt. Sie will als die Bewegung gelten, die die Besatzer in die Flucht geschlagen hat.

Der Rückzug der Soldaten wird deshalb nur vorrübergehend sein. So glaubt auch der palästinensische Premierminister, Ahmed Kurei, dass die Truppen „jederzeit in die Regionen, die sie gerade verlassen haben, zurückkommen können“. Für den israelischen Verteidigungsminister Mofas ist die Operation noch nicht beendet. Auch er räumte ein, dass die Armee in „ständiger Bereitschaft bleibt“. Immerhin ließen die Militärs rechtzeitig zum Beginn des muslimischen Fastenmonat Ramadan die Blockaden der Küstenstraße aufheben, durch die der Gaza-Streifen für die Dauer der Offensive praktisch in drei voneinander abgekoppelte Regionen geteilt war.