lexikon der globalisierung
: Was bedeutet eigentlich Geschlechterverhältnisse?

Schon immer machen Menschen ihr eigenes Leben täglich neu. Sie produzieren Mittel zum Leben und neues Leben. Beide Prozesse sind natürlich und gesellschaftlich, beide sind Produktionsverhältnisse. Die Fortpflanzung ist die Basis, auf der im historischen Prozess auch geformt wird, was als „natürlich“ zu gelten hat.

In dieser Weise treten die Geschlechter als Ungleiche aus dem Gesellschaftsprozess, werden Geschlechterverhältnisse fundamentale Regelungsverhältnisse in allen Gesellschaftsformationen. Sie sind zentral für Fragen wie Arbeitsteilung, Herrschaft, Moral, Sexualität oder Sprache. Kein Bereich kann sinnvoll untersucht werden, ohne die Weise, wie sich Geschlechterverhältnisse formieren und geformt werden, mit zu erforschen.

Unter dem Begriff Geschlechterverhältnisse sollen wie beim Begriff Produktionsverhältnisse mehrere Praxisverhältnisse der Geschlechter gefasst werden. Kein festes Verhältnis also und keine natürlichen festen Akteure, wie dies mit dem im deutschen Feminismus eher gebräuchlichen Singularbegriff „das Geschlechterverhältnis“ festgeschrieben wird. Die Einspannung der Geschlechter in die Reproduktion des Ganzen ist historisch verschieden. Die Entwicklung des Fordismus der Industriegesellschaft etwa ging einher mit der Einrichtung der Hausfrauenehe auch in der Arbeiterklasse, weil die Arbeitskraft des Massenarbeiters restlos in der Fabrik verbraucht werden sollte und der häuslichen Absicherung und Versorgung, der Verwahrung der Kinder und der entsprechenden Moral (kein ausschweifender Sex) bedurfte. So kann Arbeit mit Männern, Haus und Familie mit Frauen verbunden und von den AkteurInnen selbst getragen werden. Der transnationale High-Tech-Kapitalismus bricht diese Verteilung um. Der „männliche Ernährer“ wird in die Arbeitslosigkeit freigesetzt, gleichzeitig wächst die weibliche Erwerbstätigkeit. Es gibt eine Feminisierung der Arbeit in den „Dritten Welten“. Auch unter den Gewinnern der neoliberalen Globalisierung sind Frauen anzutreffen, die jedoch junge, schöne, kompetente Singles sein müssen. Insgesamt geht der Prozess mit zunehmender Verelendung der Masse der Frauen (und Kinder) einher. Dies setzt sich fort, solange dieser Kapitalismus die Fragen der Reproduktion der Menschheit als randständig gegenüber dem Profitmachen aussondert. FRIGGA HAUG

Das Lexikon erscheint immer montags in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat von Attac