: „Irak war erst der Anfang“
INTERVIEW ERIC CHAUVISTRÉ
taz: Herr Cirincione, müssen wir uns auf eine militärische Konfrontation der USA mit dem Iran einstellen?
Joseph Cirincione: Diese Angelegenheit entwickelt sich so ähnlich wie einst die Krise im Irak – und das nicht aus Zufall. Es gibt offensichtlich einige in der US-Regierung, die eine Anklage gegen den Iran konstruieren wollen. Aber obwohl der mit 35 Staaten besetzte Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA eindeutig will, dass Iran sein Programm stoppt, sind die dort vertretenen Staaten doch sehr vorsichtig, irgendetwas zu tun, was unilaterales Handeln durch die USA rechtfertigen könnte.
Das IAEA-Statut und der Nichtverbreitungsvertrag erlauben jedem Mitglied die Urananreicherung.
Ja, in der Tat. Was die Iraner tun wollen, ist legal. In der Art, wie sie es bislang tun, haben sie allerdings das Inspektionsabkommen mit der IAEA – das so genannte Safeguards Agreement – verletzt. Sie haben bestimmte Anlagen nicht gezeigt,die sie hätten zeigen müssen.
Ist in Teheran die Entscheidung für die Atombombe schon gefallen?
Ich denke, die Iraner haben noch keine Entscheidung getroffen. Sie wollen die Technologie erwerben, die ihnen dies in Zukunft ermöglicht. Aber ich glaube nicht, dass Teheran ein Crash-Programm hat. Die Iraner sind noch einige Jahre davon entfernt, eine Bombe bauen zu können.
Der Iran, den Bush zu seiner „Achse des Bösen“ zählt, ist mittlerweile von US-Basen in Afghanistan, im Irak und in einigen zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken umzingelt. Das sollte Iran doch eher zur Zurückhaltung bewegen.
Die iranische Regierung glaubt, die USA und deren Verbündeter Israel seien entschlossen, sie zu stürzen. Teheran unternimmt deshalb Schritte, die es für notwendig hält, um die iranische Souveränität zu schützen. Dies ist nicht nur die Politik der Ajatollahs, dies ist ein nationaler iranischer Anspruch.
Die Invasion des Irak hätte die Anreize für Teheran demnach verstärkt?
Das iranische Atomprogramm läuft seit fast zwei Jahrzehnten. Aber es wurde in den letzten vier Jahren stark beschleunigt. Und die Entschlossenheit scheint seit der Invasion des Irak sogar deutlich gestiegen zu sein. Die Lektion des Irakkrieges ist: Wenn du keine Atomwaffen hast, werden die USA dich angreifen – wenn du aber welche hast, reden sie mit dir.
Die Theorie der Bush-Regierung war es, mit dem Angriff auf Irak auch andere Kandidaten für die Bombe einzuschüchtern.
Die Irakinvasion hatte zwei Konsequenzen: Erstens hat sie Iran in der Absicht, diese Waffen zu entwickeln, bestärkt. Zweitens verstärkte sie aber die Furcht Irans vor einem US-Angriff – und trug so zu dem Abkommen bei, das die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands im November 2003 aushandelten. Darin gestand Iran einen Verzicht auf die Anreicherung zu.
Hat seitdem im Iran die Sorge vor einem US-Angriff abgenommen?
Die Iraner wissen die USA im Irak gefesselt. Sie sehen, dass eines ihrer Mittel gegen einen US-Angriff ihr Einfluss auf Milizen im Irak ist. Den könnten sie dazu nutzen, US-Truppen und Stützpunkte anzugreifen, sollten die USA tatsächlich Iran attackieren.
Aber die Bush-Regierung ist sich doch dieses Einflusses bewusst.
Das ist auch der Grund, weswegen viele Leute in der Bush-Regierung und in den Streitkräften denken, dass es keine Möglichkeit gibt, gegen den Iran militärisch vorzugehen. Andere glauben jedoch fest an diese Möglichkeit. Dazu muss man verstehen, dass dies ein Teil einer größeren strategischen Vision der Neokonservativen in der derzeitigen US-Regierung ist. Der Grund, in den Irak einzumarschieren, war ja nicht nur, das Regime dort zu stürzen, sondern einen Prozess einzuleiten, durch den feindliche Regime in der gesamten Region entfernt werden – insbesondere in Teheran und Damaskus. Irak war der Anfang, nicht das Ende.
Dort im Irak haben die US-Streitkräfte aber genug Ärger.
Einige in der Bush-Regierung glauben, dass man die Situation retten kann, indem man sich jetzt Iran vornimmt. Dadurch – so lautet die Idee – könne man die eigene Position im Irak stabilisieren.
Wird die US-Regierung auch deshalb unnachgiebiger, weil sie befürchtet, Israel nicht länger von der Bombardierung iranischer Atomanlagen abhalten zu können?
Es ist klar, dass die USA Israel davon abhalten könnten, wenn sie es denn wollen. Es ist allerdings nicht klar, ob die US-Regierung es tatsächlich will. In dieser Angelegenheit kommen sehr unterschiedliche Signale aus dem Regierungsapparat.
Angenommen, der Konflikt eskaliert. Iran könnte dem Beispiel Nordkoreas folgen und die Mitgliedschaft im Nichtverbreitungsvertrag für beendet erklären.
Es wäre dann schwierig, den Vertrag zu retten. Und die Gefahr ist, dass andere Staaten in der Region sofort ihre eigenen nuklearen Optionen überdenken würden.
Zum Beispiel?
Besonders besorgt bin ich im Hinblick auf Ägypten, das in den 70er-Jahren ein Forschungsprogramm für Atomwaffen hatte. Ein anderer Kandidat wäre Saudi-Arabien, das die pakistanische Atombombe finanziert hat – und einfach ein paar Atomwaffen einkaufen könnte.
Es gibt Leute, die sagen, dass es längst saudische Atomwaffen gibt – sie seien bloß derzeit in Pakistan gelagert.
Das glaube ich nicht. Aber es ist ein Szenario vorstellbar, in dem Saudi-Arabien Pakistan einlädt, seine Atomwaffen auf saudi-arabischem Gebiet zu stationieren – so wie die USA einige ihrer Atomwaffen auf dem Gebiet anderer Nato-Staaten lagern. Dies wäre eine absolut legale Zusammenarbeit. Es würde den saudischen Interessen dienen und gleichzeitig Pakistans Problem lösen, ein Land ohne strategische Tiefe gegenüber Indien zu sein.
Im vergangenen November konnte eine EU-Troika Teheran Zugeständnisse abringen. Ist solch eine Chance nun verpasst?
Ich glaube nicht, dass es zu spät ist. Die Europäer müssten jetzt härter sein, etwa was die ökonomischen Konsequenzen einer iranischen Urananreicherung angeht. Und die USA müssten flexibler sein. Sie sollten willens sein, die Beendigung der gegen Iran gerichteten Sanktionen auszuhandeln. Und sie sollten dem Iran garantieren, dass sie die iranische Regierung nicht stürzen werden. Dies ist der einzige Weg, das Problem zu lösen. Wenn man versucht, es nur auf der technischen oder juristischen Ebene zu regeln, wird man scheitern.
Ist solch eine Lösung mit der derzeitigen Regierung in Washington denkbar?
Sie wäre wahrscheinlicher unter einer Kerry-Regierung. Aber selbst eine wiedergewählte Bush-Regierung könnte sich, angesichts der Probleme im Irak, für einen dramatischen Wechsel in ihrer Außenpolitik entscheiden. Es hinge dann alles davon ab, ob Bush die Wiederwahl als eine zweite Chance sähe, um es diesmal richtig zu machen, oder ob Bush sie als eine Bestätigung seiner Politik der neokonservativen Vision sieht.
Ihre Prognose?
Lassen Sie es mich so sagen: Man kann diese Präsidentenwahl als eine Art Referendum über den nächsten Krieg betrachten. Wenn die amerikanische Bevölkerung trotz allem, was passiert ist, den Präsidenten im Amt bestätigt, wird er dies als Mandat betrachten, um eine Politik wie im Fall Irak fortzusetzen: also eine Politik, die sich die Eliminierung gefährlicher Regime zum Ziel setzt. Iran ist mit Sicherheit als Nächstes auf der Liste.