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Archiv-Artikel

Merkel ignoriert den Wunsch des Zentralrats

Unions-Spitze gibt dem antisemitisch aufgefallenen Abgeordneten Hohmann „letzte Chance“, definiert die aber nicht

BERLIN taz ■ Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich der Zentralrat der Juden in die Personalpolitik der Parteien einmischt. Zuletzt war dies bei einem gewissen Jürgen Möllemann der Fall. Nun sieht sich erstmals auch die CDU-Partei- und Fraktionschefin Angela Merkel mit Forderungen des Zentralrats konfrontiert, sie solle einen Abgeordneten aus ihrer Fraktion entfernen. Ein Appell, der bisher ohne Folgen blieb.

Die Äußerungen des hessischen CDU-Manns Martin Hohmann über die Juden als „Tätervolk“ hatten Zentralratspräsident Paul Spiegel so sehr empört, dass er Merkel am Sonntag einen Brief schrieb. Darin befand er, auch wenn Hohmann seine Äußerungen inzwischen relativiert habe, könne von einer ernst zu nehmenden Entschuldigung keine Rede sein. Die CDU-Fraktionschefin müsse deshalb Konsequenzen ziehen und sich von Hohmann trennen. Doch Merkel beließ es gestern erst einmal bei einer „Rüge“ und einer neuerlichen, deutlichen Distanzierung. Was Hohmann gesagt habe, sei „unerträglich“ und stehe „im Widerspruch zu den Grundüberzeugungen der Christlich-Demokratischen Union“. So unerträglich, dass man Hohmann deshalb aus der Fraktion oder Partei ausschließen müsste, waren Hohmanns Äußerungen jedoch aus Sicht der CDU-Führungsriege auch wieder nicht.

Bei den Sitzungen von Bundesvorstand und Präsidium der CDU kam man überein, Hohmann eine „letzte Chance“ zu geben, wie es ein Teilnehmer nannte. Widerspruch gab es in den Gremien nicht. Auch der Chef der CDU-Arbeitnehmer, Hermann-Josef Arentz, der am Wochenende noch ein Parteiordnungsverfahren gegen Hohmann gefordert hatte, nahm die Entscheidung, Hohmann zunächst in Amt und Würden zu belassen, hin. Merkel erklärte hinterher, sie gehe davon aus und erwarte von dem Abgeordneten Hohmann, „dass sich das nicht wiederholt“. Eine Formulierung, die weitere Fragen aufwarf: Was heißt „das“? Keine antisemetischen Äußerungen mehr? Oder allgemein keine radikalen Äußerungen über Minderheiten mehr – ein Hobby, das Hohmann in der Vergangenheit sehr eifrig pflegte? Was genau muss Hohmann also tun bzw. unterlassen, um in der CDU zu bleiben?

Die Parteichefin konnte die Kriterien, von denen Hohmanns weiterer Verbleib in der Union abhängt, nur ansatzweise definieren. „Ich sage mal als Beispiel“, antwortete Merkel, „was am Wochenende in der Fuldaer Zeitung gesagt wurde.“ In einem Interview mit seinem Heimatblatt hatte sich Hohmann verteidigt, er sei in seiner Rede über die Juden „bei der Wahrheit geblieben“. Dieses Interview sei „in die falsche Richtung“ gegangen. Trotzdem überwog offenbar die Scheu vor einem Ausschlussverfahren, das den rechten Flügel der Union vergrätzt hätte.

Nun kommt es selten vor, dass eine Parteivorsitzende Forderungen des Zentralrats der Juden schlichtweg ignoriert. Ausdrücklich betonte Merkel deshalb, sie stehe „in engem Kontakt“ mit Spiegel und halte ihn über die weiteren Beratungen auf dem Laufenden. Die Frage ist nur, ob ihm das genügt. LUKAS WALLRAFF