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Archiv-Artikel

Vom Leben mit dem Zweifel

Jan Christophersen hat mit „Schneetage“ einen überraschend erfolgreichen Debütroman geschrieben. Das mag daran liegen, dass sich der Namen gebende Schneewinter von 1978/79 gerade zum 30. Mal jährte. Oder daran, dass dem Flensburger, der heute an der Schlei lebt, ein ruhiges, ganz und gar untümelndes Buch gelungen ist – über die Heimat, das versunkene Rungholt und deutsch-dänische Animositäten

VON PETRA SCHELLEN

„Töte deine Lieblingssätze! Das sind Eitelsätze. Die braucht der Leser nicht!“ Jan Christophersen ist rigoros, wenn es ums Schreiben geht. Dabei hat er gerade erst seinen Debütroman veröffentlicht, „Schneetage“, und Sätze wie die zitierten hat Christophersen am Leipziger Literaturinstitut gehört. Das ist Jahre her, aber er glaubt bis heute dran. Auch deshalb, weil er seinen Roman in Eigenregie zügig um 50 Seiten zu kürzen hatte: „Da wusste ich sehr schnell, welche Sätze rausmussten.“ Diejenigen nämlich, die nochmals alles erklären und verdichten. Die auf der Angst beruhten, dass der Leser die subtile Botschaft nicht verstanden haben könnte.

Diese Furcht braucht Christophersen nicht zu haben. Dicht ist der Roman, dessen Rahmen die schleswig-holsteinische Schneekatastrophe von 1978 / 79 bildet, nämlich qua Stimmung und Struktur: Schicht für Schicht gräbt sich der Autor in die Vergangenheit hinein, passiert dabei die Nachkriegszeit samt Besatzungskindern und Flüchtlingen und landet schließlich beim 1362 überspülten Rungholt.

Der Plot von „Schneetage“ rankt sich um einen Hobby-Archäologen, von denen es in der Gegend tatsächlich einige gibt. Denn wissenschaftlich ist Rungholt weitgehend erforscht, der Zugang aber ist umso mühseliger: Gerade mal eine halbe Stunde hat, wer forschen will, um nach Resten zu suchen, bevor das Wasser alles wieder wegspült. Profis tun sich sowas längst schon nicht mehr an.

Der Protagonist in Christophersens Roman aber, der tut es: zunächst aus Freude am Suchen, später besessen von dem Wunsch, Rungholts Kirchturmglocke zu finden. Zwischendurch muss er im deutsch-dänischen Grenzgebiet Flüchtlinge einquartieren. Kein Vergnügen. „Ich wollte darstellen, wie schwierig die Anfänge in dieser Gegend waren, die aus einem solchen Konglomerat an Menschen bestand“, sagt der 1974 in Flensburg geborene Autor. „Ich wollte ein nicht-tümelndes Buch über Heimat schreiben.“ Christophersen spricht freundlich und bedächtig und, vielleicht, immer ein klein wenig reserviert.

Kein Freund des Kurzen

Zum Schreiben kam er eher zufällig: „Ich war nie ein guter Lied-Texter. Die kurze Form hat mir nie gelegen.“ Seine Texte seien im Lauf der Zeit immer länger geworden. Erzählungen wurden daraus, von denen er die Hälfte wieder wegstrich, damit sie schlüssig wurden. Und schließlich: der Roman, gedacht nicht nur zum persönlichen Erkenntnisgewinn, sondern auch zur Darstellung gleich mehrerer literarisch zuvor nicht beackerter Themen. Des Schneewinters von 1978 / 79 zum Beispiel.

Dass Christophersen sich mit den zugehörigen Naturbeschreibungen auch mal auf der Grenze zum Klischee bewegt, weiß er wohl. Aber er überschreitet sie eben nicht. Auch nicht, wenn es um das lange Gedächtnis der Dorfbewohner geht. Um jene Art von Geschichten, die generationenlang nachgetragen, aber nie besprochen werden. Die gibt es auch in „Schneetage“. Und natürlich: deutsch-dänische Empfindlichkeiten.

Aktuell, sagt Christophersen, ist davon nichts mehr. „Konflikte zwischen den Deutschen und den Dänen, die hier leben, bemerke ich kaum“, erzählt er. Vielleicht, ja, gebe es gewisse Animositäten, „aber letztlich funktioniert das Zusammenleben“.

Sich dagegen im Dorf Ulsnis einzuleben – das ist ihm nach seinen Hamburger Jahren schwer gefallen. Seit zwei Jahren leben er, seine ebenfalls schreibende Partnerin und sein kleiner Sohn nun an der Schlei. Dass ausgerechnet der inzwischen Zweijährige den Schreibfluss seines Vaters verstetigen würde, das sei überraschend gekommen: „Ich war schon immer ein sehr genauer und langsamer Arbeiter“, sagt Christophersen. Seit der Geburt seines Sohnes „funktionierte das Schreiben viel leichter. Vielleicht gerade, weil ich nicht mehr so viel Zeit hatte.“

Vielleicht auch, weil er irgendwann ein Gefühl dafür gewonnen habe, wie er den Roman schreiben müsse. „Es geht um den Grundton. Den immer neu aufzunehmen – das ist die eigentliche Herausforderung. Da nehme ich mir oft die vorigen zehn Seiten, schreibe sie ab oder lese sie laut, bis ich die Stimmung wieder aufgenommen habe.“ Auf dieses Timbre habe er gesetzt; seine größte Angst freilich: „dass das Buch zu ruhig ist“. Wer allerdings zu seinen Lesungen kommt, der schätzt wohl gerade dieses langsame Schwingen, den ruhigen Stil.

Aufwand unterschätzt

Mit Christophersens eigener Ruhe war es nicht immer so weit her: Am Buch hat er „sechs Jahre geschrieben und immer wieder daran gezweifelt, dass ich es fertig stellen würde“. Da hätten dann sogar die Verwandten schon mal gefragt, sagt Christophersen lakonisch. „Das sind nur ganz kurze Bemerkungen wie: ‚Muss aber schon mal fertig werden.‘ Das sitzt dann aber.“ Er lacht. Er konnte leben mit den Zweifeln, die sich einstellten: „Am Anfang war ich total euphorisch. Ich war sicher, dass ich in zwei Jahren fertig wäre.“

Er habe es unterschätzt, auch was es brauchte, sich die Nordsee, wo „Schneetage“ spielt, anzueignen. „Die Ostsee, an der ich aufgewachsen bin, bedeutet für mich Badeurlaub“, sagt Christophersen. „Die Nordsee dagegen: raue Winde, Gezeiten und gefährdete Deiche. Menschen, die sich gegenüber der Natur behaupten müssen. Schon was anderes.“ Vielleicht hat ihn Rungholt auch deshalb gereizt: Die Rungholter waren dem Vernehmen nach eigenwillige Leute, boten dem Pfarrer wie der Natur die Stirn. Das sei schon typisch für die Gegend.

Obwohl Christophersen den Begriff „typisch“ problematisch findet: „Wie wollen Sie zum Beispiel die deutsche und die dänische Mentalität auf den Punkt bringen? Natürlich, die Dänen sind gelassener als wir. Damit hat sich’s aber auch schon.“ Nein, es sei kein Eiertanz, im deutsch-dänischen Grenzgebiet zu leben. Eher schon, von zwei Autorengehältern eine Familie zu ernähren. Aber: „Wenn das Geld ausging, kam immer im letzten Moment Hilfe. Ein Stipendium zum Beispiel.“ Oder die inzwischen zweite Auflage des Romans. Er habe, sagt Christophersen, „gar nicht viel erwartet“.

Vielleicht stapelt er da ein bisschen tief. Dass er professioneller Autor sein will, weiß Christophersen schon lange. „Ich finde es am schönsten, am Schreibtisch zu sitzen und mich mit Phantasiewelten zu befassen“, sagt er. Angst davor, dass ihm irgendwann keine Geschichten mehr einfallen, hat er nicht. „Man muss einfach weiterleben.“ Schon jetzt hege er „andere Interessen als vor sechs Jahren“.

Ab jetzt autobiographisch

Auch, was die Form angeht: Im nächsten Buch, „einem Musikerroman“, möchte er autobiografischer werden. „Die Kunst ist ja, über sich selbst zu schreiben, ohne es explizit zu tun.“ In „Schneetage“ etwa seien fast alle Situationen imaginiert oder recherchiert. Beim nächsten Mal will er die Figuren „in Situationen werfen, die ich selbst erlebt habe“. Ob das dem Buch gut tut, weiß er nicht. Aber Angst hat Jan Christophersen keine.

Jan Christophersen: „Schneetage“, Marebuch, Hamburg 2009, 368 S., 22 Euro