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Archiv-Artikel

Nicht aus der Zeit gefallen

9. Nordische Literaturtage im Hamburger Literaturhaus präsentieren neben Henning Mankell und Geir Pollen auch unbekanntere skandinavische SchriftstellerInnen

„Knochen scheuern gegen den Stein. Stimmen gegen das Gebet. Und die Hymne reibt sich am Stein wund.“ Makabere Verdichtungen schafft die schwedische Lyrikerin Eva Ström im Begräbnis-Gedicht Ezekiel. Den Spalt zwischen Dies- und Jenseits, zwischen Materie und Geist leuchten die Verse der Ex-Ärztin aus. Sie ist die vielleicht konsequenteste der sieben zu den 9. Nordischen Literaturtagen ins Hamburger Literaturhaus geladenen AutorInnen. Und noch ist ihr Werk, für das sie 2003 den Literaturpreis des Nordischen Rates erhält, nicht ins Deutsche übersetzt.

Doch die Präsentation auch unbekannter AutorInnen ist explizites Anliegen der seit 1986 zweijährlich veranstalteten Literaturtage, die bereits etliche renommierte SchriftstellerInnen nach Hamburg brachten. Und es ist – ein immer noch lebendiges Klischee – schlicht nicht wahr, dass Skandinavien nur Krimis produziert, auch wenn dieses Genre seit Jahren von deutschen Verlagen gehypt wird. Denn Krimis – etwa der Schwedin Kerstin Ekman – sind oft Anlass, soziale Strukturen bloßzulegen. Jüngstes Beispiel hierfür ist der neue Roman Henning Mankells, der diesmal ebenfalls geladen ist: Tea-Bag eruiert das Schicksal einer afrikanischen Migrantin und beleuchtet gesellschaftliche Bedingungen von Kreativität.

Weiteres (nicht nur) für die konsensfixierten skandinavischen Gesellschaften wichtiges Thema: die Spannung zwischen Mainstream und Subkultur. Ein alternatives Leben wünschen sich die Protagonisten von Ma thias Faldbakkens The Cocka Hola company. Dies scheint ihnen nur möglich durch Mitwirkung bei – in Norwegen illegalen – Pornofilmproduktionen. In verbalen Zerlegungen kleinbürgerlichen Lebens ergehen sich die Protagonisten – und doch entkam auch der Autor dem Mainstream nicht: Nach anfänglichen kontroversen Diskussionen wird der Debütroman jetzt norwegenweit gefeiert.

Eher tief gründelnd gibt sich sein am selben Abend präsentierter Landsmann Geir Pollen, der Gegenwart aus der Vergangenheit heraus definiert: Auf den Spuren seines fliegenfischenden Vorfahren wandelt der Protagonist von Pollens Hutchinson‘s Nachf., der Bücher hortet und Parallelen zwischen Charakteren verschiedener Generationen zieht. Und der ein Netzwerk menschlicher Beziehungen spinnt, das auch den Protagonisten von Asko Sahlbergs Die Stimme der Dunkelheit immer wieder einsaugt: Wie Sahlberg ist sein „Held“ von Finnland nach Schweden gezogen, um frei zu leben. Am liebsten auch jenseits der Zeit. Das Resultat allerdings ist mager. Zwar hat er seiner Uhr die Batterie weggenommen. „Aber die Zeit war immer noch da.“ PETRA SCHELLEN

Nordische Literaturtage: 10.–13.11., Literaturhaus Hamburg. www.literaturhaus-hamburg.de