: Ein Notebook auf der Wiese
Es klingt ein bisschen romantisierend, und das ist durchaus gewollt: Unter dem Namen Springintgut produziert der Lüneburger Andreas Otto lichte, naturromantische Elektronika-Tracks. So lange der Akku hält
von Christoph Braun
Der Mann aus dem Wald trägt blonden Seitenscheitel, Designer-Pulli mit pinkem Kreuz. Sieht ziemlich jung aus, ist auch erst 24 Jahre alt, wie sich später herausstellt. Später, als wir auf der grünen Wiese mitten in Braunschweig liegen und „Frage und Antwort“ spielen. Seit Wochen, nein Monaten hat unser Gespräch sich immer wieder verschoben. Und dennoch hatte er sich bereit erklärt, seinen Posten zu verlassen und von seinem Zuhause in Lüneburg runterzufahren in die Stadt, in der ein Likörhersteller einst die Fußballtrikot-Werbung erfand und in der man sich auf diesen Lorbeeren bis heute auszuruhen scheint.
Andreas Otto heißt der junge Mann und Posten 90 seine Platte. Und wie dieser Titel, wie die schwarz weiß kopierten Baumzeichnungen auf dem Cover, so trägt auch Ottos Künstlername Springintgut zu diesem Image bei: Weltabgewandt klingt das auf den ersten Blick, waldschratig. Es lässt Bilder auftauchen von alten Förstern mit langem Bart, Rauchkegelmännchen aus dem Erzgebirge. „Klar“, sagt Otto. „Das Thema ist die Natur. Wenn ich vom Bildschirm hochschaue, sehe ich manchmal einen Eichelhäher auf dem Kiefernast sitzen.“
Denn „Posten 90“ ist schlicht die Adresse des Andreas Otto. Der Posten ist ein altes Bahnwärterhäuschen. Es liegt zwar nah an Lüneburg, „nur sieben Minuten zur Uni“, wo Otto Kulturwissenschaften studiert. Und doch steht das nächste Haus gute 500 Meter entfernt. Ottos Wohn-Studio- Kombi-Einheit steht als Solitär an der eingleisigen alten Bahnschiene, unten rauscht ein Bächlein und die Kiefern im Wind.
Zum Beschreiben der Musik von Springintgut wäre diese unmittelbare räumliche Umgebung nicht notwendig, würde Otto nicht von sich aus so viel darüber erzählen. Was er anstrebt, diese „Stilleben“, die auf den ersten Blick statisch erscheinen und bei näherer Betrachtung ein „Gekuschel und Gewuschel“ erkennen lassen; das Verzaubern des Rechners mittels Naturbetrachtung – das machen oder machten andere, wie etwa die Frankfurter Sensorama oder die von ihm verehrten Kölner Mouse On Mars, als Projektion, als Fluchtweg aus der City.
Und doch meint man diese ganz eigene Gelassenheit von Lichtungen und Forellenbeobachtungen herauszuhören. Diese besondere Elektronika hat sehr viele Anschlüsse an die Außenwelt, doch, anders als bei den Jet-Settern Mouse On Mars oder den Club-DJs Sensorama, sie verzichtet auf deren Verdichtungs-Druck. „Ich arbeite viel mit Laptop“, sagt Springinsgut. „Dank USB-Keyboard kann ich deshalb auch auf der Dachterrasse oder unten am Fluss arbeiten. Gerade im letzten Sommer, als ‚Posten 90‘ entstand, saß ich sehr viel auf Wiesen und im Wald und entwarf neue Tracks.“
Walden ist, in Anlehnung an den US-amerikanischen Öko-Pionier aus dem 19. Jahrhundert, der Titel eines zentralen Stückes auf Posten 90. „Das Wort ‚Walden‘ mag ich gerne, denn es könnte Schwedisch sein für ‚Wald‘, es könnte eine waldene Stimmung beschreiben oder einfach ein Verb – im Wald wohnen. Das Buch, das Thoreau in einer Hütte am Walden-Teich schrieb, habe ich über Paul Auster entdeckt.“
Doch bevor Otto, der Cello und Schlagzeug studiert hat, endgültig als das erscheint, was er auf keinen Fall ist – als „Tree Hugger“, Baum-Umarmer – sei einmal die Entschlossenheit dargestellt, mit der er diese vielschichtigen, süßmelodischen Stücke angeht. Hinter seinem auf Anhieb erkennbaren Klang steckt eine ganz eigene Bearbeitung von Samples. Mit Elektronika-Produzenten von heute verbindet Otto die Herstellung einer Klangwelt, die von analogen Instrumenten abweicht, indem sie etwa all jene Klänge als Snare Drums benutzt, die im Frequenzbereich des Instrumentes „Snare Drum“ liegen. Was ihn unterscheidet, ist die Zeitlichkeit der Sounds. „In meinem Sample-Archiv speichere ich auch die perkussiven Instrumente mehrfach ab, sodass sie immer als Punkt und als Linie archiviert sind.“