Ganz viele Einzeltäter – und wenige klare Ursachen

Keine andere deutsche Institution ist so häufig durch rechtsradikale Umtriebe ins Gerede gekommen wie die Bundeswehr. Woran liegt das?

BERLIN taz ■ Ein „einzelner verwirrter General“ sei Reinhard Günzel, hat Verteidigungsminister Peter Struck gesagt. Verwirrung ist ein bedrohlicher Geisteszustand für einen Offizier, der eine besonders gefährdete Elitetruppe befehligt. Der Minister hatte allerdings nicht von den militärischen Fähigkeiten, sondern von den politischen Überzeugungen des Geschassten gesprochen. Lässt sich in diesem Zusammenhang die These vom Einzeltäter halten?

Struck ist nicht der erste Verteidigungsminister, der aus politischen Gründen die Entlassung eines Offiziers veranlasst hat. Helmut Schmidt feuerte Anfang der 70er-Jahre Generäle, weil sie geäußert hatten, Freiheit und Demokratie seien „keine letzten Werte“, oder erklärten, die Innere Führung sei nur eine Maske, die man sich aus taktischen Gründen vors Gesicht habe halten müssen. Unter seinem Nachfolger Georg Leber häuften sich Skandale. Der Luftwaffeninspekteur ließ sich in den Apartheidstaat Südafrika einladen. Zwei Luftwaffengeneräle luden den Rechtsradikalen Hans Ulrich Rudel zu einem Traditionstreffen.

Generalmajor Gerd Schultze-Rhonhof, einst ranghöchster Offizier in Niedersachsen, konnte nicht mehr entlassen werden, als er mit seinem 1997 erschienenen Buch „Wozu noch tapfer sein?“ für Aufsehen sorgte – er befand sich bereits im Ruhestand. Und legte dort so richtig los: Die Polen tragen seiner Ansicht nach eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, Hitler hat aus seiner Sicht die Arbeitslosigkeit beseitigt und das deutsche Volk von heute seine Werte verloren.

Die Liste ließe sich fortsetzen, auch mit vielen Beispielen, bei denen einfache Soldaten unumwunden ihre rechtsradikale Gesinnung offenbart hatten. Lauter bedauerliche Einzelfälle? Oder haben doch diejenigen Recht, die alle Angehörigen der Streitkräfte unter Generalverdacht stellen? Wahr ist, dass keine andere deutsche Institution so häufig durch rechtsradikale Umtriebe ins Gerede gekommen ist wie die Bundeswehr. Aber woran liegt das? Und spricht die Fülle der bekannt gewordenen Skandale nur gegen oder vielleicht auch für die deutschen Streitkräfte?

Waffen und Männerbünde haben von jeher eine große Anziehungskraft auf Rechtsradikale ausgeübt. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass diese Gruppe die Nähe zur Armee sucht. Ende 1997 wurde bekannt, dass der Rechtsterrorist Manfred Roeder zu einem Vortrag an die Führungsakademie der Bundeswehr eingeladen worden war. Die Befragungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die Vorgänge untersuchte, zeigten, dass der Aufbau guter Beziehungen zur Akademie eine gezielte Strategie der Rechtsextremisten gewesen war.

Der Rückschluss, die Armee sei von Rechten unterwandert, wäre allzu schlicht. Denn die hohe Zahl der bekannt gewordenen Affären zeigt eben auch, dass die Bundeswehr seit ihrem Bestehen von innen und von außen besonders genau beobachtet wird. Wer möchte die Hand dafür ins Feuer legen, dass nicht andernorts ebenso viel oder noch mehr unter der Decke gehalten wird, was öffentlich werden sollte? Der CDU-Angeordnete Martin Hohmann behauptet, viele Mitglieder seiner Fraktion dächten ebenso wie er.

Der erste Verteidigungsminister, Theodor Blank, der selbst nur kurz im Amt war, hatte das Konzept der neuen Streitkräfte jahrelang minutiös entwickelt: Das Ideal vom Staatsbürger in Uniform, das Prinzip der Inneren Führung, der Primat der Politik und der Abschied von allen bisherigen deutschen Militärtraditionen waren Prinzipien, die Pate standen bei der Gründung der Bundeswehr. Damit war allerdings auch der Keim für die jahrzehntelange Auseinandersetzung zwischen Traditionalisten und Reformern gelegt.

Die Traditionalisten können nicht pauschal als Rechte bezeichnet werden. Aber mit ihrer Forderung, sich auf das traditionelle Soldatenbild zurückzubesinnen, fördern sie ein Klima, in dem antidemokratisches Gedankengut gedeihen kann. Ihnen stehen Soldaten gegenüber, die überzeugte Anhänger einer neuen, demokratischen Armee sind. Welche Seite im Kampf um das geistige Klima obsiegt, hängt auch davon ab, wie diejenigen betrachtet werden, die es wagen, Meldung zu machen von rechtsradikalen Parolen: als Denunzianten und Nestbeschmutzer? Oder als beispielgebend?

Der kritische Soldaten-Arbeitskreis „Darmstädter Signal“ bemängelte gestern, dass es demokratisch gesinnten Offizieren im Zusammenhang mit dem Fall Günzel offenbar am „Mut zur Meldung“ gemangelt hatte – schließlich könnten dessen Überzeugungen seinem Umfeld nicht verborgen geblieben sein. Das ist vermutlich richtig. Interessant wäre eine bundeswehrinterne Untersuchung der Frage, welchen Anteil daran die neue restriktive Informationspolitik hat, die mit Einrichtungen wie dem KSK und den künftigen militärischen Aufgaben einhergeht.

BETTINA GAUS