: Korruption ist immer noch Ansichtssache
Deutschland hat seine Position im Antikorruptionsindex verbessert und landet auf Platz 15 der am wenigsten korrupten Länder. Allerdings umfasst der Index nicht die Realität, sondern nur ihre Wahrnehmung durch Entscheidungsträger
VON KARIN LOSERT UND WERNER RÜGEMER
Deutschland wird im internationalen Vergleich wieder als weniger korrupt wahrgenommen. Zu dieser Einschätzung kommt Transparency International (TI) im gestern veröffentlichten Antikorruptionsindex. Darin konnte sich die Bundesrepublik gegenüber dem Vorjahr um einen Platz auf Rang 15 verbessern.
„Korruption schreckt Investoren aus dem Ausland ab“, stellte Hansjörg Elshorst, Chef der deutschen TI-Sektion fest. Deshalb sei das Ergebnis eine gute Nachricht für den Standort Deutschland. Als Grund für die Verbesserung nannte er das Ausbleiben großer Skandale in jüngster Zeit. Nach den Spendenaffären um Exkanzler Helmut Kohl und die hessische CDU sowie dem Kölner Müllskandal 2002 habe sich das Ansehen Deutschlands im Ausland erholt.
Elshorsts Stellvertreterin Anke Martiny warnte jedoch davor, den „Sumpf“ schon als „ausgetrocknet“ zu betrachten. Nur 5 bis 10 Prozent aller Delikte kämen überhaupt ans Licht. Besonders anfällig seien die Baubranche sowie der Vertrieb von Pharmazeutika und medizinischen Hilfsmitteln.
Schwachstellen in der Korruptionsbekämpfung sieht die Organisation in Deutschland vor allem in der Strafverfolgung. Es gebe zu wenige Ermittler. Zudem sei die Koordination unter den Bundesländern nach wie vor so mangelhaft, dass Korruptionsstraftäter davon ausgehen könnten, nicht erwischt zu werden.
Die wirksamste Waffe gegen Korruption sei Transparenz in den öffentlichen Verwaltungen. „Hier sind die skandinavischen Länder führend“, sagte Elshorst. Und das spiegle sich auch im Index wieder. Auf Platz 1 der 146 untersuchten Länder kam erneut Finnland, gefolgt von Neuseeland, Dänemark und Island. Schlusslichter im weltweiten Korruptionsvergleich sind Nigeria, Bangladesch und Haiti.
Der Korruptionsindex ist allerdings mit Vorsicht zu genießen: Entgegen der landläufigen Meinung beantwortet er nicht die Frage, in welchen Staaten tatsächlich am meisten bestochen wird. Wie der englische Titel „Corruption Perception Index“ besagt, ist er ein „Wahrnehmungsindex“. Er beruht nicht auf Faktenerhebung, sondern auf Meinungsumfragen. Befragt werden „Entscheidungsträger, die wichtige Entscheidungen in Investitionen und Handel treffen“. Nicht befragt werden jene, die oft am meisten wissen und Rechtstaat und Zivilgesellschaft repräsentieren: Staatsanwälte, Journalisten, Mitarbeiter von Rechnungshöfen und Prüfungsämtern, Mitglieder von Bürgerinitiativen und von TI oder anderen Antikorruptionsgruppen.
Und: Unter Korruption wird der „Missbrauch eines öffentlichen Amtes für privaten Vorteil“ verstanden. Es geht also um Schmiergelder für Politiker und Beamte. Der Missbrauch der ökonomischen Macht durch Unternehmen wird nicht thematisiert. Auch moderne Formen, die bisher nicht unter Strafe stehen, also Beraterverträge, Aufsichtsrats- und Geschäftsführerposten ohne nennenswerte Arbeitsleistung, werden kaum als Korruption wahrgenommen. Ebenso wenig Zahlungen bei Firmenübernahmen, um die Zustimmung der Vorstände zu kaufen.
Für den Index wertet TI 17 Umfragen aus, die die US-Meinungsforscher von Gallup, das World Economic Forum, die Weltbank, die Wirtschaftsprüfer Price Waterhouse Coopers und andere durchführen. Sie wollen vor allem die ausufernden Korruptionskosten mindern – damit nicht zu oft umsonst geschmiert wird. So zahlte Siemens in Südkorea 50 Millionen Mark, um den Auftrag für den ICE Seoul – Pusan zu bekommen, für ähnlich viel bekam Alsthom den Auftrag.
Die Befragung verwischt zudem, dass Korruption immer zwei Akteure hat: Empfänger und Zahler, Nehmer und Geber. Mit dieser lange tabuisierten Erkenntnis ist TI vor einem Jahrzehnt angetreten. Man wollte das Klischee von den „korrupten Entwicklungsländern“ aufbrechen, indem man die Zahler aus den Industrieländern an den Pranger stellte. Nun aber steht im Index etwa Nigeria als ganz korrupt da, und die Zahler aus den Großkonzernen rangieren in den relativ sauberen Rängen.
Weil der Antikorruptionsindex nur nach den Empfängern fragt, schiebt TI seit 1999 zusätzlich alle drei Jahre den „Bribe Payers Index“ nach. Dieser fragt nach den Bestechern – und hat ähnliche methodische Mängel: Er beruht ebenfalls auf einer Meinungsumfrage, wieder nur bei Geschäftsleuten und nur in Schwellenländern wie Kolumbien, Nigeria und Thailand. Nach Korruption in den Industriestaaten wird nicht gefragt.