: Die radikale Wahrheit hinter der Fassade
Der Medienkonzern Bertelsmann eröffnet seine Hauptstadt-Repräsentanz in der rekonstruierten Kommandantur an den Linden. Bis ins Detail wurde die historische Fassade gestaltet. Sie ist ein perfektes Zitat des Alten. Drinnen ist alles modern, ein „Haus im Haus“, genau das macht die Fassade zur Kulisse
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Es kommt einem fast ein wenig wie falsche Bescheidenheit vor, wenn ein Megalonzern wie der Bertelsmann-Verlag sich an einem eigentlich 1-a-minus-Standort in Berlin neu einrichtet. Andere gaben und geben sich da weniger zimperlich. Die Manager-Universität etwa will ins einstige Staatsratsgebäude, Außenminister Fischer zog es in die Reichsbank und DaimlerChrysler kaufte gleich den halben traditionsreichen Potsdamer Platz.
Gemessen daran klingt die Anschrift „Unter den Linden Nummer 1“ zwar ebenfalls wie eine Topadresse. Doch der Standort an der Stelle der ehemaligen Kommandantur von 1799 für die neue „Hauptstadtrepräsentanz“ der Bertelsmann AG und Bertelsmann-Stiftung hat einen weit weniger bekannt klingenden Namen als die genannten – zumal die Nachbarn Humboldt-Universität, Staatsoper, Zeughaus und Neue Wache nicht ohne sind. Auch in den historischen Stadtführern rangierte die Kommandantur unter „ferner liefen“. Und mal ehrlich, wer erinnert sich noch an das 1950 abgetragene Haus, an dessen Stelle das DDR-Außenministerium später hochgezogen wurde?
Das Medienunternehmen aus Gütersloh ist diesem Defizit medial sowie strategisch geschickt begegnet. Nach zwei Jahren Bauzeit wurde gestern Abend ein Gebäude eröffnet, das originalgetreu rekonstruiert wie aus dem 19. Jahrhundert daherkommt und damit ein Stück Preußen – „ein Stück Geschichte“ – an den Lindenboulevard zurückbringt. Aufgewertet wird die vergessene Adresse aber nicht nur durch das Bekenntnis zur Rekonstruktion einer berlintypischen Architektursprache, zudem bildet „Bertelsmann Unter den Linden 1“ einen Link hinüber zur geplanten Bauakademie von Schinkel und animiert die Begehrlichkeiten, das einst benachbarte Schloss wieder zu errichten. Die rekonstruierte Kommandantur ist damit nichts weniger als das von Bertelsmann gebaute Bekenntnis zu Berlin, den Linden und dem Stadtschloss. Das zählt.
Immerhin, das Palais von Friedrich Wilhelm Titel, das bis 1945 als Sitz des Berliner Stadtkommandanten diente, haben die Gütersloher mit ihrem Architekten Stuhlemmer minutiös wiedererbaut. Wie das Orignial wurde die Fassade gemauert und geputzt, alle Maße wurden respektiert, der Portikus sowie der Dachschmuck wie einst gestaltet und sogar die Fenster und Fassadenfarbe wiederverwandt.
Die 22,1 Millionen Euro teure Rekonstruktion des Architekten ist – anders als beim Adlon – umso höher zu bewerten, als es keine Pläne mehr von der alten Kommandantur gab. Stuhlemmer konnte nur auf eine einzige Messbildaufnahme von 1880, Postkarten und Trümmerfunde zurückgreifen. Eine quasi archäologische Arbeit also, die aber – und das ist fatal – zur totalen Kulisse verkommt.
Denn dort, wo zukünftig international repräsentiert und konferiert werden soll und sich „Politik, Wissenschaft und Kultur begegnen werden“, nämlich im Innern des Hauses, meint man ein anderes, ja ein zweites Gebäude vor sich zu haben. Bis auf den letzten Nagel sozusagen, mit einem neuen großen Foyer, neuen Raumfolgen und Saalgrößen, Treppenhäusern und einem gläsernen Wintergarten hat Bertelsmann sein modernes Interieur gestaltet und nicht mal einen Hauch von Geschichte aufkommen lassen. Auf 5.800 Quadratmeter Geschossfläche wird bis hinauf zur „Sky-Chapel“ ein zeitgenössisches Bürohaus erster Güte vorgeführt, in dem nichts an das erinnert, was es außen alles vorgibt. Es besteht vielmehr darauf, ein Haus im Haus zu sein.
So radikal hat bisher kein Bauherr Geschichtsverbundenheit und Moderne in Berlin aufeinander prallen lassen. So radikal sind alt und neu noch nie verknetet worden. Und so radikal wie Bertelsmann in Berlin hat noch niemand gezeigt, dass jede historische Rekonstruktion in Wahrheit eine Lüge beherbergt.