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Archiv-Artikel

Irgendwo in Afrika

26 deutsche Hilfswerke sammeln „Gemeinsam für Afrika“. Ihr Zugpferd: Herbert Grönemeyer. Er fuhr nach Ruanda und Kongo, um zu sehen, wie „die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen“

Tief sitzt bei uns das Bild vom Kontinent, dem nichts und niemand helfen kann

von DOMINIC JOHNSON

Als im August in Europa die Hitzewelle ihren Höhepunkt erreichte, fiel in Afrika Schnee. In einem der vielen dunklen Täler zwischen den Ausläufern der Vulkane von Ruanda, wo die Felder steil sind und die Sonne schnell hinter den Bergen verschwindet, bedeckte für ein paar schummrige Stunden eine dünne weiße Schicht das Land, und mühsam schoben barfüßige, zerlumpte Bauern ihre hoch beladenen Fahrräder durch den knöcheltiefen Matsch. Hier sind entwicklungspolitische Herausforderungen gebündelt wie im Schulbuch: Die Bevölkerungsdichte ist hoch, die Bauerngehöfte sind winzig und müssen Großfamilien ernähren; die Arbeit auf halsbrecherischen Berghängen mit hartem vulkanischem Boden ist äußerst anstrengend, die Wege zu den Märkten sind weit. Seit den Kämpfen zwischen Armee und Hutu-Milizen in den späten 90er-Jahren sind hunderttausende von Menschen an die einzige geteerte Hauptstraße gezogen, und heute erstrecken sich dort kilometerlange Ansammlungen erbärmlicher Hütten und Zelte, groß wie Städte und unterversorgt wie Dörfer. Wenn wie dieses Jahr zu viel Niederschlag fällt, sinken die Ernteerträge, die Lebensmittelpreise steigen und tausende von Familien stürzen ins Elend. Und immer muss die Straße für viel Geld instand gehalten werden.

Auch Herbert Grönemeyer fuhr diese Straße entlang, als er im Oktober im Rahmen der Kampagne „Gemeinsam für Afrika“ Hilfsprojekte in Ruanda und im Osten der Demokratischen Republik Kongo besuchte. Von einer Behindertenwerkstatt im ruandischen Kigali bis zu einem „Kinderparlament“ im kongolesischen Goma reichte die Reise, die den Sänger stark beeindruckte – wegen des Tatendrangs der gebeutelten Menschen, der sämtlichen Klischees vom hilflosen beziehungsweise blutrünstigen Afrikaner widerspricht. „Mit der Aktion ‚Gemeinsam für Afrika‘ wollen wir darauf aufmerksam machen, dass die Menschen in Afrika angesichts von Hunger, Bürgerkriegen, Aids und Armut nicht verzweifeln, sondern bereit sind, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“, heißt es jetzt im Hilfsappell: „Damit aus Zeichen der Hoffnung strukturelle Veränderungen und dauerhafte Lösungen erwachsen, brauchen sie unsere Hilfe.“

Für Deutschland ist das eine Premiere, betonen die Veranstalter. Nie zuvor hatten sich die großen Hilfswerke des Landes – an der Spitze Unicef, Misereor, Deutsche Welthungerhilfe und Brot für die Welt – unter einer gemeinsamen Kontonummer versammelt. Zehn Prozent der Spendeneinnahmen gehen zu gleichen Teilen an alle 26 teilnehmenden Hilfswerke; vom Rest – aufgeschlüsselt nach dem jeweiligen Afrika-Engagement – kriegt Unicef 15,97 Prozent, Misereor 14,07 und die Welthungerhilfe 13,92 Prozent; Schlusslichter sind der Arbeitersamariterbund (0,03 %) und die Arbeiterwohlfahrt (0,02 %).

Was kann man damit machen? Aus Goma, der zu großen Teilen von einem Vulkanausbruch zerstörten brodelnden Halbmillionenstadt im Osten Kongos, fuhr Herbert Grönemeyer das Ufer des Kivusees entlang. Er sah, wie die „Gomatrizianer“ zwar nicht Berge, wohl aber Städte versetzen; wie sich eine Metropole verschiebt, weg vom historischen, verschütteten Stadtzentrum in den Busch nach Westen, wo protzige Villen am See entstehen und armselige Blockhütten hinter den Felsen. Und im Dörfchen Sake, wo die zur gefährlichen Raserei einladende geteerte Uferstraße endet und die Bergpisten beginnen, erklärte ihm die Deutsche Welthungerhilfe Friedensarbeit im Kriegsgebiet: den Wiederaufbau zerstörter Straßen im Hinterland von Goma, tief hinein in die seit zehn Jahren von ethnischen Vertreibungskriegen gebeutelte Region Masisi, wo die Berge noch steiler sind als in Ruanda und die Armut noch unerträglicher.

130 Kilometer westlich von Goma stehen inzwischen die Straßenbauer von „Agro-Action Allemande“ (AAA), wie die Welthungerhilfe im Kongo heißt, sechs Kilometer hinter Nyabyondo, lange Zeit Frontstadt in einem der unzähligen Kleinkriege des Ostkongo. Für die sechs Kilometer brauchte AAA zwei Monate, weil die lokalen Milizen zunächst nicht wollten, dass ihre Feinde aus Goma eine Zufahrtsstraße bekommen. Dass die Führer beider Seiten inzwischen in Kongos ferner Hauptstadt Kinshasa gemeinsam regieren, mindert das lokale Misstrauen nur wenig. Erst der Straßenbau entzieht ihm die Basis: Seit Ankunft der Welthungerhilfe ist die Bevölkerung Nyabyondos von 30 Menschen auf 12.000 gewachsen; 13.150 geflohene Familien – 66.000 Menschen – kamen im Umland aus dem Busch, siedelten sich mit Nothilfe und Saatgut auf verlassenen Feldern wieder an und eroberten verbrannte Erde zurück. So mancher, der früher mit Gewehr und Machete brandschatzte, leistet jetzt mit Hacke und Schaufel Wiedergutmachung. Dorf für Dorf, Hügel für Hügel entsteht ein neuer Kongo, dessen Bürger vielleicht klüger sind als ihre Eltern und sich hüten vor Volksverhetzern.

Aber obwohl Ruanda und Kongo im Mittelpunkt der Reise Herbert Grönemeyers standen, stehen sie nicht im Mittelpunkt der Hilfskampagne „Gemeinsam für Afrika“. Das Konzept entstand 2002, als im Süden Afrikas fürchterliche Dürren und Hungersnöte wüteten. Weil dann aber die Fluten des deutschen Wahlkampfsommers dazwischen kamen, wurde die Aktion um ein Jahr verschoben, und jetzt gibt es gerade in Afrika keine neue, griffige Katastrophe, anhand derer die Hilfswerke zu dringenden Spenden aufrufen können – so wie 1985 bei der Hungersnot in Äthiopien, wo Bob Geldof mit „Band Aid“ das seither unerreichte Vorbild für die Gemeinsamkeit von Hilfswerken schuf. Es gibt nur – siehe Kongo – Dauerkatastrophen, die die Welt ermüden. Afrika als Dauerkrisenkontinent, wo nichts hilft, hat sich als Klischee tief in die deutschen Köpfe eingegraben.

Man spendet also für nichts – beziehungsweise für alles: Die gesammelten Gelder, das ist die Auflage, müssen in Afrika ausgegeben werden, für irgendwas, da hat jede Organisation freie Hand. Aber eigentlich ist „Gemeinsam für Afrika“ eine Trockenübung: Wenn es mal wieder irgendwo richtig brennt, sollen die Deutschen nicht mehr ratlos vor 26 verschiedenen Spendenkonten stehen.

Und weil es keinen konkreten Hilfsappell gibt, kann sich die Aktion auch etwas Seltenes leisten: das Vorurteil vom Afrikaner als passivem Hilfsempfänger durchbrechen, auf Eigeninitiative hinweisen und auf langfristige Perspektiven. „Wir wollen vermeiden, dass es so wie 1985 ist, wo es nur noch um Spenden ging und nicht mehr darum, wie die Leute leben“, sagt Uli Post von der Deutschen Welthungerhilfe. Er wäre schon zufrieden, wenn bei der Aktion zwei Millionen Euro herauskämen. Das wären für die DWHH immerhin 278.400 – und 400 für die Arbeiterwohlfahrt.

Wenn das nicht nur eine Trockenübung für die nächste Katastrophe ist, sondern auch ein Ansatz für ein Afrikabild, in dem die Menschen gesehen werden und nicht nur die Probleme, hat es sich gelohnt. Das zumindest hat Herbert Grönemeyer vorgemacht: Er besuchte nicht nur Projekte, sondern traf Völkermordüberlebende in Ruanda und Kindersoldaten im Kongo. Dann tat er, wofür Experten und Helfer meist keine Zeit haben: Er hörte ihnen einfach zu. Mensch ist Mensch, sozusagen.