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Archiv-Artikel

Der General, der Guatemala ist

aus El Quetzal ISABEL GUZMAN

Maria Velázquez wusste, dass der General ihr noch einmal nahe kommen könnte. An einem klaren, kühlen Herbstmorgen ist es so weit. Zwei Hubschrauber brechen in die Ruhe des Bergdorfes El Quetzal, am Rand des Hochlandes von San Marcos, und senken sich dröhnend auf die Gemeindewiese. Aus einer Luke steigt ein alter Mann im stahlgrauen Anzug, mit ebenso grauem, straff gestriegeltem Haar. Er blickt sich kurz um, bevor Leibwächter und Polizisten ihn in die Mitte nehmen. Der General, angetreten in seiner eigenen Vergangenheit.

Es ist Präsidentschaftswahlkampf, und der 77-Jährige will um Stimmen werben, unter anderem um die von Maria Velázquez. Wer weiß, vielleicht verzeiht die Vergangenheit oder vergisst. Ganz sicher kann sich der General allerdings nicht sein. An anderen Stationen der Kampagne hat man schon Steine auf ihn geschleudert. Deshalb der 50 Mann starke Schutzkordon, der ihn mittlerweile beinahe überallhin begleitet.

Guatemalas Pinochet

Maria Velázquez, eine scheue Frau aus der Provinz Huehuetenango, gehört zu einer von 57 Flüchtlingsfamilien, die nach einer Irrfahrt von Guatemala nach Mexiko und zurück endlich hier in El Quetzal weit im Westen des Landes ein neues Zuhause gefunden haben. Der Militärdiktator, vor dem sie 1982 geflohen ist, gilt als der grausamste in den 36 Jahren des Bürgerkriegs: Efraín Ríos Montt. Der General. Der Pinochet Guatemalas.

Mit unbewegtem Gesicht erzählt Maria ihre Geschichte. Wie die Nachbarn in ihren mit Benzin übergossenen Häusern verbrannten. Wie die Soldaten 49 Männer aus ihrem Dorf mitnahmen, die nie wieder auftauchten. Und wie sie schließlich an ihre eigene Tür klopften. Dem 19 Jahre alten Bruder legten sie einen Strick um den Hals, banden ihn an einem Balken fest. Du gehörst zur Guerilla, sagten sie. Und schlugen mit den Kolben ihrer Gewehre so lange auf ihn ein, bis er tot zusammenbrach.

Einem UN-Bericht zufolge hat das Militär unter Ríos Montt bei dem Versuch, die linksgerichtete Guerilla zu eliminieren, innerhalb von 18 Monaten 448 Bauerndörfer ausgelöscht. Mehrere zehntausend Menschen kamen laut Schätzungen ums Leben, größtenteils Angehörige der Maya-Urbevölkerung. An Gerichten in Guatemala und Spanien sind mehrere Klagen wegen Völkermordes gegen Ríos Montt anhängig. Auch das ist ein Grund, wieso er gerne Präsident wäre: Er besäße Immunität.

Die Menschen in El Quetzal haben Angst. Wenn Ríos Montt wieder an die Macht kommt, fürchten die Flüchtlinge, wird man sie wieder vertreiben. Oder schlimmer. „Die Leute wissen doch nicht, was das für ein Typ ist“, sagt Maria Velázquez, die sich an diesem Tag in ihrem Krämerladen verrammelt hat. Sie kennt viele Nachbarn, die zu seiner Veranstaltung gehen wollen, beunruhigend viele. Was bleibt ihr übrig, als inständig zu hoffen, dass der General sie nicht überzeugt?

Der General steht im Gemeindesaal auf einer Bühne vor 500 Bergbauern und Landarbeitern. Regungslose, schweigende Gesichter überall. Die Animatorin vor ihm hat es nicht geschafft, die Menschen zu bewegen. Auch die poppigen Rhythmen eines umgedichteten DJ-Bobo-Songs kommen nicht an. Aber um gegenseitige Sympathie geht es hier auch nicht, das wird schnell klar. Es wird eine autoritäre Variante einer Annäherung werden. „Wer ist Guatemala?“, ruft der General in den Saal, nachdem er zehn Minuten lang darüber schwadroniert hat, dass alle Macht beim Volke liegt. „Wir!“, antwortet eine einzelne Stimme aus der Menge beherzt. „Ich!“, bellt der General zurück.

„Ich bin Guatemala“, unter dieses Motto hat Ríos Montt den Wahlkampf gestellt. Und so schief ist die Aussage nicht. Er ist Symbol für ein Land, das es nicht geschafft hat, seine eigene Geschichte zu überwinden. In Wirklichkeit ist er schon längst wieder an der Macht. Er ist Parteigründer und -chef der aktuellen Regierungspartei Republikanische Guatemaltekische Front (FRG), der amtierende Präsident Alfonso Portillo gilt als seine Marionette. Deshalb schreibt sich der General sogar den Frieden auf die Fahnen, der seit 1996 formell herrscht. Zum Beweis hat er nach El Quetzal einen ehemaligen Kommandeur der Guerilla mitgebracht. „Schaut her, wir haben Frieden, wir sind wieder Brüder!“, brüllt er, reißt den Comandante an sich und herzt ihn wild. Die Menschen im Saal geraten in Unruhe. Diese Nachricht bewegt in ihnen etwas, das spürt man. Der General weiß, was sie sich am meisten wünschen: Frieden.

Der von Ríos Montt konsolidierte Frieden besteht darin, dass Militär und Mafia den Staat und sämtliche jungen demokratischen Strukturen fest in der Zange halten. Auf der Korruptions-Skala von Transparency International ist Guatemala in den letzten fünf Jahren stetig nach unten gerutscht und gilt mittlerweile als „hoch korrupt“. Schockiert waren die Guatemalteken, als die USA das Land dazu im Januar 2003 auf die schwarze Liste der Staaten mit den meisten Drogenproblemen setzte. Besonders besorgnis erregend ist jedoch die Menschenrechtssituation. Die UNO-Mission Minugua nannte das Jahr 2002 das „gewalttätigste der Nachkriegszeit“.

Geld pünktlich zur Wahl

Wieso sollte jemand für Efraín Ríos Montt stimmen? Zwischen den Menschen, die sich an diesem Tag in El Quetzal in der stickigen Wellblechhalle drängen, steht Emilia Vásquez. Genau wie die Flüchtlingsfrau Maria Velázquez ist sie Mitte 40, wohnt ein paar hundert Meter weiter und scheint auf den ersten Blick genau ihr Gegenteil zu sein. Emilia Vásquez Mann Leonel war ein Paramilitär, Mitglied jener „Patrouillen zur zivilen Selbstverteidigung“, die während des Bürgerkriegs als ziviler Arm der Regierungsarmee funktionierten.

„Ich will das Geld“, sagt Emilia Vásquez. Sie wartet auf einen Scheck über umgerechnet 215 Dollar, den die Regierung ihrem Mann, wie 520.000 anderen Paramilitärs, für seine Dienste versprochen hat. Pünktlich zur Wahl. „Wenn wir Montt nicht wählen, sehen wir unser Geld nicht mehr“, vermutet sie.

Dann taucht auf einmal etwas anderes in ihren Augen auf. Angst, die gleiche wie bei Maria Velázquez. „Dieser Mensch hat uns so viel angetan!“, ruft sie unvermittelt. „Er hat uns in den Krieg geschickt, wir wollten das doch nicht!“ Und trotzdem will sie Ríos Montt ihre Stimme geben? Einen Moment schaut sie ratlos drein. Dann fasst sie sich wieder. „Du hast doch gehört, was der General eben gesagt hat. Wir haben jetzt Frieden. Die Zeiten haben sich geändert. Und Ríos Montt auch, ja, bestimmt.“

Ein kleiner Sieg für den General – genau, wie es Maria Velázquez in ihrem Krämerladen vor seinem Auftauchen in El Quetzal befürchtet hat. Und es ist die Art von Sieg, die sie am wütendsten macht. „Die Stimmen, die Ríos Montt bekommt, werden von den Armen stammen“, sagt sie. „Von denjenigen, die am einfachsten zu bestechen oder einzuschüchtern sind.“ Und denen jegliches politische Wissen fehlt. Marias Stimme bebt. „Ich habe sogar selbst Verwandte in meinem Heimatdorf, die ihn wählen wollen!“ Vielleicht würde sie manchmal gerne hinfahren, die Leute packen und schütteln. Stattdessen bleibt sie in ihrem winzigen Laden sitzen. Sie ist müde, sie kann nicht mehr.

Hoffnung macht ihr zumindest noch Schwester Maria Jesús, eine katholische Nonne. Maria Jesús ist nach dem Wahlkampfauftritt des früheren Diktators zufrieden. „Ich bin mir sicher, dass viele, die dort waren, nicht für ihn stimmen werden“, sagt sie. „Sie sind nur hingegangen, weil sie den Arbeitstag bezahlt bekommen haben.“ Die Nonne hat in El Quetzal Filme über Kriegsmassaker gezeigt und den Menschen direkt gesagt, dass sie ihre Stimme nicht der FRG geben sollen – obwohl die Kirche sich formell von jeder Parteipolitik distanziert. „Ich glaube, wir haben bei etlichen etwas erreicht“, sagt sie.

Möglicherweise wird Ríos Montt die Wahl tatsächlich nicht gewinnen. Umfragen platzieren ihn im Moment teils an zweiter, teils an dritter Stelle – weit hinter den neoliberalen Unternehmer Oscar Berger und seine Allianz aus drei Rechtsparteien. Mit Berger würde es in eine Zukunft gehen, in der die Staatsmacht wieder dem Großkapital gehört: den Großgrundbesitzern, den Industriellen, dem Finanzsektor. Und mit der FRG in der Opposition könnte das Land vollends unregierbar werden.

Colamix mit Maispastete

Emilia Vásquez ist erschöpft, als sie die Wahlveranstaltung verlässt. In der Hand hält sie keinen Scheck, aber wenigstens ein Päckchen Zucker, ein halbes Pfund Haferflocken, zwei Tütchen Kaffeepulver, eine Flasche Colamix und eine Maispastete. Und sie sagt das, was wohl die meisten Menschen denken, die aus der Halle strömen. Es ist dasselbe, was die wieder angesiedelten Flüchtlinge in ihrer Kolonie gesagt haben, und was man zurzeit sehr oft hört in Guatemala: „Ich weiß, wem ich meine Stimme gebe“, erklärt sie. „Und wer am Ende dieses Land regieren wird, das wird Gott entscheiden.“