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Archiv-Artikel

Interessant ist, ob das Geld für die geliebten Buletten reicht

Im Rahmen der Russischen Kulturtage gastierte Schauspielstar Oleg Tabakow mit Oleg Bogajews „Lachkabinett für einen alleinstehenden Rentner“ im Hamburger Thalia Theater

...und dazwischen rauscht die Klospülung, wann sie es eben will

„Er ist unser Star“, flüstert die Russin auf dem Nebensitz. Danke für die Aufklärung. Wer hat hier zu Lande schon etwas von Oleg Tabakow gehört? Im Thalia Theater jedenfalls sorgte der russische Schauspielstar für ein rappelvolles Haus, für Vor- und Zwischenapplaus, für stehende Schlussovationen und Blumengaben aus dem Publikum. Die nachfolgende Internetrecherche ergibt: Auch Wladimir Klitschko liebt den „großen alten Mann des russischen Theaters“. Neben Arnold Schwarzenegger ist Tabakow des Boxers Lieblingsschauspieler.

Russland, ferne Welten. In Hamburg sind sie ganz nah. Schon im Theaterfoyer fühlt man sich wie in einem Theaterstück von Tschechow. Mascha! Irina! Überall Begrüßungen auf Russisch mit Küsschen auf die Wange. Die russische Gemeinde von Hamburg scheint ungeahnt zahlreiche Mitglieder zu haben, die sich allesamt zum Gastspiel „Lachkabinett für einen alleinstehenden Rentner“ des Moskauer Theater-Studios verabredet haben.

Im Rahmen der Russischen Kulturtage, die seit April im noch größeren Rahmen des Jahrs der Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen stattfinden und bei denen bis März 2004 in rund 20 deutschen Städten Theater, Ausstellungen, Tanz, Oper, Literatur und Film aus Russland gezeigt werden, hat das Thalia zwei Produktionen eingeladen. Den Anfang machte jetzt das „Lachkabinett“, das der 32-jährige Autor Oleg Bogajew auf den Leib von Schauspielstar Tabakow geschrieben hat. Ein volksnahes Schauspielstück, dessen Inszenierung von Kama Ginka mit der „Goldenen Maske“, dem renommiertesten Theaterpreis Russlands, ausgezeichnet wurde. Und das viel über das gegenwärtige Russland erzählt. Die großbürgerlichen Sehnsüchte eines Tschechow sind weit weg. Oleg Tabakow spielt den allein stehenden Rentner Iwan Sidorowitsch Shukow, der in keinem großzügigen Landhaus die Zeit nicht mit philosophischen Dialogen verplaudert, sondern in einer winzigen, ärmlich eingerichteten Wohnung Briefe schreibt. Bis er das erste Wort spricht, dauert es. Er setzt sich vor den Fernseher, der nur rauscht. Öffnet die Schranktür, hinter der kein einziges Kleidungsstück hängt. Stellt den Plattenspieler an, der in großen Abständen Töne ausspuckt. Dazwischen rauscht die Klospülung, wann sie es will, hämmert der Nachbar an die Wand, wann es ihm passt. Alltagshorror.

Aber mit Phantasie lässt es sich überall leben. Iwan schreibt Briefe an frühere Schulfreunde, die er seit dem Krieg nicht mehr gesehen hat, an die Queen, an Lenin, an die Sozialfürsorge und an die Wanzen in seiner Wohnung. Auch die Marsbewohner werden bedacht. Doch die Briefe schickt er nie ab, die Antworten schreibt er sich selbst.

Armer, alter, einsamer Mann. In diesem Sozialreportagenklischee bleibt das Stück zum Glück nicht stecken. Die Realität verschwimmt mit der Phantasiewelt, wenn Iwans fiktive Briefpartner leibhaftig auf der Bühne erscheinen und sich über den Gemütszustand des Alten austauschen. Lenin und die Queen sind sich uneins, inwieweit der Kapitalismus schuld an der Misere ist. Doch Iwan interessiert weniger, wer ihn regiert, sondern ob das Geld für seine geliebten Buletten reicht.Tabakow spielt diesen Iwan sehr lebensnah, zärtlich, traurig und komisch. Doch warum er in Russland so verehrt wird und ob er gar die russische Seele von heute verkörpert, das will sich an einem Theaterabend nicht erschließen. Da müssen wir wohl noch mehr Gelegenheiten zur „Kulturbegegnung“ nutzen. Vielleicht im Februar, wenn das Rachmaninow-Trio in Hamburg spielt. Karin Liebe

Das komplette Programm unterwww.russische-kulturtage.de