: Reichspogromnacht: „Wie nach einer Beschießung“
Am 9. November 1938 wurden auch in St. Georg jüdische Geschäfte geplündert, zerstört und in Brand gesteckt – bejubelt von der Hamburger Presse
Der Steindamm in St. Georg ist eine Straße mit Geschichte, die bis ins 16. Jahrhundert zurückgeht. Eines der dunkelsten Kapitel dieser Geschichte spielte sich vor 65 Jahren ab: Der Steindamm war einer der Hamburger Schauplätze der Reichspogromnacht der Nazis am 9. November 1938.
Zerstörte und geplünderte Geschäfte, Glassplitter auf der Straße – der Augenzeuge Hermann Rabe berichtete später über seine Eindrücke: „Am anschließenden Vormittag war ich an der Ecke vom Steindamm zur Lüneburger Straße (der heutigen Stralsunder Straße) und hörte das Zersplittern von Glas und das Zerknallen von Schaufensterscheiben. Junge Männer in SA-Uniform waren dabei, die Schaufenster jüdischer Geschäfte einzuschlagen. So bei der Engel-Apotheke, bei Photo Sander oder beim Haushaltswarengeschäft Denner. Andere SA-Leute standen dabei.“
Am Abend des 10. November brannten weitere zerstörte Geschäfte, so das Damenbekleidungsgeschäft von Marcus Galewski am Steindamm 104-108, das Modehaus Samuel Meyer, Steindamm 35, das Papierhaus Krohn, Steindamm 109 und das Haushaltswarengeschäft von Daniel Gutter in der Brennerstraße.
Die neuen Besitzer standen bereits Gewehr bei Fuß: Allein in den Jahren 1938 und 1939 sind in Hamburg 625 jüdische Firmen und Geschäfte entweder liquidiert oder „arisiert“ worden, davon elf am Steindamm.
Der gleichgeschaltete Hamburger Anzeiger schrieb am 10. November unter der Überschrift „Spontane Demonstrationen“ voller Genugtuung: „Mit großen Töpfen voller roter Farbe zog das Volk durch die Straßen der Innenstadt, in Riesenlettern wurde ‚Jude‘ an die jüdischen Läden geschrieben. Kein Wunder, dass die großen jüdischen wie Hirschfeld oder Robinson besonders mitgenommen wurden, kaum eine Scheibe bleib heil vor diesem erbitterten Aufruhr des empörten Volkes...“
Hans Robinson vom Modehaus Gebrüder Robinson erinnert sich an die Zerstörung des Geschäftes am Neuen Wall durch den Nazi-Mob: „Erdgeschoss und erster Stock sahen wie nach einer Beschießung aus. Sämtliche Fenster waren eingeschlagen. Im Lichthof waren die schweren Schränke und Tische vom ersten Stock in das Parterre geworfen worden, Schreibmaschinen waren mit Brecheisen auseinander gebrochen worden. Die Glas- und Holzsplitter lagen so hoch, dass wir zwei Verbandsstationen einrichteten, in denen den aufräumenden Mitarbeitern Wunden an Füßen, Beinen, Händen und Armen verbunden wurden.“
Die Gestapo inhaftierte nach dem Pogrom mindestens 879 jüdische HamburgerInnen. Sie wurden längere Zeit in Fuhlsbüttel eingesperrt oder in KZs deportiert. Ihr Vermögen wurde einkassiert. Das faschistische Hamburger Tageblatt triumphierte am 13. November mit der Schlagzeile: „Juden müssen eine Milliarde zahlen: Einschneidende Maßnahmen zur Ausscheidung des Judentums aus dem deutschen Wirtschaftsleben.“ Die Weichen für die von den Nazis titulierte „Endlösung der Judenfrage“ waren gestellt.
Der Hauptschriftleiter des Hamburger Tageblatts, Hermann Okraß, gleichzeitig Gaupresseamtsleiter der Nazis, wurde zehn Jahre später von einem Bielefelder Gericht zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Durch die vorherige Internierung galt sie allerdings bereits als verbüßt. Okraß musste die Haft nie antreten. BERNHARD RÖHL
Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht: Sonntag, 9. November, 11.30 Uhr, Synagoge Hohe Weide 34