: Eltern haften für ihre Kitas
Noch mehr Zündstoff für den heutigen Krisengipfel: Privatrechtliche Kita-Verträge verpflichten Eltern ohne Gutschein, die vollen Kosten zu zahlen. Jede Kita hat andere Verträge, denn auf einen Mustervertrag hat die Bildungsbehörde verzichtet
von KAIJA KUTTER
Wenn heute früh im Rathaus der Kita-Krisengipfel tagt, hat dies auch Folgen für das Portemonnaie von rund 2700 Hamburger Eltern. Denn ohne zusätzliche Euro-Millionen muss Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) seinen seit Oktober verhängten Totalstopp bei Gutscheinen bis zum Jahresende verlängern und kann nicht mal mehr dringend benötigte Anschlussbewilligungen erteilen.
Das hat für manche Eltern unangenehme Folgen. Denn nun wird wichtig, was in den privatrechtlichen Verträgen steht, die alle Eltern mit ihrer Kita zum Systemwechsel am 1. August geschlossen haben. „Wir mussten zum 1. November einer Mutter eine Rechnung über 560 Euro ausstellen“, berichtet die Leiterin einer Wandsbeker Kita. Die Frau hatte Pech. Weil offen war, wieviel sie verdient und wie hoch ihr Elternbeitrag sein muss, hatte sie nur bis Oktober einen Sechs-Stunden-Gutschein bekommen. Eigentlich eine Formalie. Aber nun darf der Bezirk die fertige Folgebewilligung nicht rausschicken. Die Mutter hat keine Wahl, sie muss den vollen, unsubventionierten Preis bezahlen. Denn im Vertrag, den die Kita-Leitung nach Tipps von der Behörde und anderen Kitas formulierte, steht eine Kündigungsfrist von drei Monaten sowie der Zusatz, dass Eltern die „vollen Kosten“ zahlen, sollte es eine „Lücke“ zwischen zwei Gutscheinen geben.
Besagte Kita-Leiterin ist selbst unglücklich mit der Situation. „Wir würden gern Kulanz zeigen, aber wir müssen ja auch die Gehälter bezahlen.“ Da seit August keine neuen Gutscheine für Krippen- oder Elementarplätze reinkamen und immer mehr Plätze unbesetzt sind, müsste sie schon demnächst an Entlassungen denken.
Die Stadt wälzt mit dem Kita-Gutscheinsystem das finanzielle Risiko auf die Träger ab. Und die geben es an die Eltern weiter, wie es scheint. „Es gibt hier einen totalen Wildwuchs. Jede Kita hat andere Verträge“, kritisiert Matthias Taube von „FamilienPower“. Manche Träger hätten sogar mit fünf Monaten Kündigungsfrist geliebäugelt. Der Elternverein hatte in Gesprächen mit dem früheren Kita-Amtsleiter Jürgen Näther einen Hamburger Mustervertrag für Kindertagesstätten gefordert, der auch die Rechte von Eltern sichert. Doch die Bildungsbehörde habe daran offenbar kein Interesse.
„Hier gibt es eine Menge offener Rechtsfragen, was zur Verunsicherung führt“, kritisiert Edda Castello von der Rechtsberatung der Verbraucher-Zentrale Hamburg. „Streng rechtlich gesehen sind Verträge einzuhalten.“ Eltern könnten auf Zahlung des vollen Satzes verklagt werden. Aus Elternsicht ließe sich aber auch argumentieren, dass ohne finanzielle Förderung durch die Stadt die „Geschäftsgrundlage“ entfalle. Laut Rechtsanwalt Matthias Lübbert könnten die Eltern auch auf „Vertrauensschutz“ plädieren und versuchen, die Stadt zu verklagen. Konnten sie doch, als sie die Verträge unterschrieben, davon ausgehen, dass die Leistung weiter bewilligt wird.
In der Tat war das Risiko einer verzögerten Folgebewilligung im alten Kita-System gleich Null, war dies lediglich eine Formalie, um den Elternanteil jeweils neu zu berechnen. Schließlich bekamen die Kitas unabhängig davon die jährlich vereinbarten Pflegesätze für Gebäude, Personal und Sachkosten finanziert.
Jetzt hingegen müssen Kita-Leitungen knallhart kalkulieren. Sollte ein Wunder geschehen und Lange heute doch noch mal Geld bekommen, beabsichtigt die Behörde laut Sprecher Alexander Luckow die zurückgehaltenen Anschlussbewilligungen „in der Regel mit Rückwirkung“ zu erteilen. Bei immer wiederkehrenden Finanz-Löchern und Gutscheinsperren können Eltern sich auf die Rolle des unfreiwilligen Kreditgebers einstellen.