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Archiv-Artikel

„Erklärungen verleiden den Kindern die Kunst“

Christiane Rischbieter führt Kinder durch die Ausstellungen der Kestnergesellschaft in Hannover. Die zeigt die mitunter extravaganten Werke zeitgenössischer Künstler. Derzeit die Gemälde des Amerikaners David Salle. Interessant für die Kinder: Hüte und Nacktheit

CHRISTIANE RISCHBIETER, 58, arbeitete während ihres Studiums der Erziehungswissenschaften und der Psychologie als Familienhelferin und hatte in Hannover eine Galerie.

taz: Frau Rischbieter, im Theater sind Kinder ein gnadenloses Publikum – wenn ihnen die Aufführung nicht gefällt, gehen sie raus. Wie gehen die Kinder mit moderner Kunst um?

Christiane Rischbieter: Sie sind genauso gnadenlos und entscheiden sehr schnell, ob sie eine Ausstellung interessiert oder nicht. Sie sind relativ sicher in ihrem Urteil.

Ist die Führung gelaufen, wenn die Kinder die Kunst nicht mögen?

Nein, so eine Führung läuft anders ab. Ich halte keinen Vortrag, sondern ich frage die Kinder nach Inhalt, Form, Material. Die Kinder erzählen mir dann was. Nicht ich erzähle, sondern die Kinder erzählen.

Aber Sie gehen darauf ein, was die Kinder sagen.

Wenn es nötig ist. Ansonsten unterhalten sie sich auch miteinander. Sie stellen weniger Fragen, als dass sie interpretieren, beschreiben oder Assoziationen haben. Aber es kommt immer auch auf die Ausstellung an. Manche sind sehr schwierig, da muss ich einen Aufhänger für unser Gespräch suchen.

Was ist bei der David Salle-Ausstellung Ihr Aufhänger?

Der Hut. Der zieht sich als Motiv durch die Bilder und dann machen wir uns Gedanken darüber, warum da eigentlich ein Hut ist. Das sind ja alles sehr ähnliche Hüte. Dann kann ich – das kommt dann aber auf das Alter der Kinder an – auch noch Herrn Beuys einflechten. Aber mit so etwas bin ich sehr sparsam. Sonst langweilt das die Kinder.

Wie alt sind die Kinder?

Zwischen vier und elf. Je nachdem, wer kommt. Es gibt keine Voranmeldung.

Was wird neben den Hüten Gesprächsthema sein bei den Salle-Bildern?

Man sieht auf den Bildern auch viele Nackte. Die Nackten sind sehr interessant für die Kinder, weil sie so öffentlich dargestellt werden. Wobei Kinder damit überhaupt nicht so umgehen, wie Erwachsene es immer vermuten. Zehn-, Elfjährige kichern mal. Für die Kleinen aber sind Nackte etwas völlig Normales. Ganz wichtig ist, dass ich die Nacktheit anspreche.

Welche Basisinformationen geben Sie den Kindern, bevor Sie sie durch die aktuelle David Salle-Ausstellung führen?

Ich erzähle ihnen etwas über den Mann, dass er klein ist, dass er sehr agil ist und ein wildes Leben in den Künstlergruppen geführt hat.

Wie gehen Sie mit den Symbolen um, die Salle in seinen Bildern verwendet?

Da kucke ich, ob die Symbole die Kinder ansprechen, und dann kann man auch etwas dazu sagen. Aber es kommt immer auf die Kinder an. Es geht mir nicht darum, dass die Kinder gebildeter rauskommen, als sie reinkamen, sondern dass sie mit mehr Interesse an Kunst rausgehen, als sie reinkamen. Ich möchte, dass die Kinder lernen, sich die Kunst anzukucken und dass sie Spaß daran haben.

Bei David Salle tauchen immer wieder Schiffe in den Bildern auf. Wie erklären Sie das, wenn ein Kind fragt: Was macht das Schiff neben der Frau?

Dann frage ich: Was meinst Du denn? Weil ich finde, dass man erstmal lernen muss, genau hin zu sehen, anstatt mit Erklärungen zu operieren. Es verleidet den meisten Kindern beim Unterricht in der Schule die Kunst, weil sie ständig etwas erklärt bekommen. Vielleicht gehen die Kinder aus der Ausstellung mit einer ganz anderen Vorstellung raus, als sich Herr Salle das gedacht hat.

Was sind das für Kinder, die an den Führungen teilnehmen?

Vorwiegend Kinder aus einem Haushalt mit einem gewissen Bildungshintergrund. Oft kommen die Kinder mit den Großeltern, wenn die Großeltern gerade die Kinder hüten. An der Führung dürfen Eltern und Großeltern aber nicht teilnehmen. Weil die immer das Bedürfnis haben, dass die Kinder kluge Sache sagen sollen und immer dazwischen reden.

Wie kam die Ausstellung der Chapman-Brüder bei den Kindern an?

Alle haben gedacht, das wäre eine gute Kinder-Ausstellung. Aber die Kinder finden das natürlich albern. Mit Klorollen basteln sie ja im Kindergarten auch. Sie haben sich gefragt, warum erwachsene Künstler so etwas basteln. Und dann habe ich gesagt, denen macht es vielleicht auch manchmal Spaß, sich wie Kinder aufzuführen.

Wie klappte die Führung durch den Raum mit den Death Machines?

Das war interessant. Da hatte ich eine große Gruppe aus 12, 13 Kindern zwischen drei und zwölf Jahren. Die ältesten haben gekichert und die kleinen haben sich für die Maden interessiert. Das kann man schon machen.

INTERVIEW: KLAUS IRLER

David Salle: Distanz von nirgendwo. Bis 21. Juni, Kestnergesellschaft Hannover