: Ein Charmeur und Nestbeschmutzer
Natürlich ist Horst Seehofer die zentrale Person im Unionsstreit um die Kopfpauschale. Ob es ihm aber bloß um Macht und Kalkül oder um den Erhalt des Gesundheitssystems geht, ist bei ihm schwer zu klären – wie bei den meisten guten Politikern
VON ULRIKE WINKELMANN
Geht es um die Macht oder die Sache? Ist es Kalkül oder Überzeugung? Seitdem die CDU gemerkt hat, dass die CSU die Kopfpauschale tatsächlich scheitern lassen will, streut sie, dass CSU-Chef Edmund Stoiber bloß Kanzler werden möchte und dass sein Vize Horst Seehofer bloß ein perfider Taktiker sei.
Dies besorgt Parteichefin Angela Merkel natürlich nicht selbst. Es sind vielmehr die Leute aus der zweiten oder dritten Reihe, die sich echauffieren dürfen: Seehofers Verhalten sei „menschlich mies“ (Abgeordnete Vera Lengsfeld). Er sei ein „Nestbeschmutzer“ (Abgeordneter Peter Rauen). Rücktrittsforderungen machen die Runde. Umgehend wird Seehofer dann gedeckt. Der CDU-Arbeitnehmerpolitiker Hermann-Josef Arentz erklärte gestern im Radio: „Er ist und bleibt ein gesundheitspolitisches Aushängeschild der gesamten Union.“
Recht hat er. Insgesamt aber soll der Eindruck entstehen, Seehofer sei eine umstrittene Person, Stoiber von Ehrgeiz zerfressen und von Seehofer abhängig, und jede Kritik an der Kopfpauschale unsachlich. Die beiden Bayern kontern, indem sie den konservativen Medien erklären, warum „bewahren“ auch „Sozialsysteme bewahren“ heißt. Den liberalen Medien erklären sie, warum der Erhalt der Sozialsysteme erstens etwas für Profis und zweitens eine Sache der Ehre sei – und der Wahrscheinlichkeit, 2006 gewählt zu werden.
Tatsächlich ist Seehofer in diesem Spiel die zentrale Figur. Er ist einer der ganz wenigen in der Republik, die das deutsche Gesundheitssystem wirklich überblicken. Er war jahrelang Gesundheitsminister und will es wieder werden. Er hat eine lebensbedrohliche Krankheit überstanden und legt seither eine gewisse Unbekümmertheit an den Tag. Er ist ein großer Charmeur. Er ist ein Politiker, bei dem Sache und Macht, Kalkül und Überzeugung so dicht verwoben sind, dass es sich eben nicht klären lässt, was ihn antreibt. Vielleicht kennzeichnet das einen guten Politiker.
Ob Seehofer aber im Fall der Kopfpauschale auch ein erfolgreicher Politiker sein wird, ist noch offen. Es geht um 40 Milliarden Euro: So viel wird derzeit im Krankenkassensystem von Reich zu Arm, von Single zu Familie umverteilt. So viel will die CDU per Steuern umverteilen, um die Einheitsprämie zur Krankenversicherung sozialverträglich zu gestalten. Der Streit darum, ob das funktionieren kann, geht nun seit 20 Monaten und mittlerweile so tief, dass Angela Merkels Überleben als Unionschefin daran zu hängen scheint.
Die Verhandlungsrunde gestern in Berlin mit Generalsekretären, Sozialpolitikern und Landesministern von CDU und CSU blieb ohne Erfolg. Nächste Woche wird sie wieder zusammenkommen. Mitte November ist CSU-Parteitag in Nürnberg. Anfang Dezember ist CDU-Parteitag in Düsseldorf. Die Parteibasis schätzt es nicht, wenn ihre Helden einknicken. Erst recht nicht kurz vor Parteitagen.