: Lange im Amt, Kinder vor der Tür
Totalstopp für Kita-Gutscheine bleibt bestehen: Rund 6.000 Eltern sind davon betroffen. Gericht verurteilte gestern ein Elternpaar dazu, zu Hause zu bleiben, statt zu arbeiten
Zum Stil der Kita-Politik des Rechts-Senats gehört es, schlechte Nachrichten nur noch chiffriert zu verkünden. „Alle Rechtsansprüche auf Kita-Plätze werden in vollem Umfang erfüllt“, hieß es gestern aus dem Rathaus. Und weiter: „Die ausgegebenen Gutscheine für Kita-Plätze können alle eingelöst werden.“
Tatsächlich hatte dies niemand in Zweifel gezogen. Es gibt nur einen Rechtsanspruch auf einen 4-Stunden-Kita-Platz für drei- bis sechsjährige Kinder, der für Berufstätige nicht reicht. Und den einzulösen ist die Stadt durch Bundesgesetz verpflichtet. Auch stand eine Annullierung bereits ausgegebener Scheine nie zur Debatte. Denn dies wäre das Ende des Systems.
Die eigentliche, die schlechte, Botschaft war weder in der Senatsmitteilung noch in der von Bildungssenator Rudolf Lange nachgeschobenen Presseerklärung enthalten. Der von Lange ab Oktober verhängte totale Gutscheinstopp wird bis Silvester verlängert. Denn die Behörde hat kein Geld, um die über 2.700 in den Bezirken zur Verschickung bereitliegenden Kita-Gutscheine für dringende soziale Bedarfe, Sprachförderung, Arbeitsaufnahme nach Sozialhilfebezug sowie dringend benötigte Anschlussbewilligungen (taz berichtete) freizugeben.
Letzteres trifft vor allem Eltern von Krippenkindern, die nach dem dritten Geburtstag aus formalen Gründen einen Folgeantrag stellen müssen. Ebenfalls gibt es kein Geld, um jene 3.000 Eltern zu bedenken, die einen Erstantrag stellten und neu ins System wollen. Hier hat der seit Juni immer wieder verschobene Wartelistensuchlauf für Krippen- und Elementarplätze noch nie stattgefunden.
„Lange bleibt im Amt, Kinder vor der Tür“, bilanziert GAL-Politikerin Sabine Steffen und wirft dem Senator vor, die Eltern mit falschen Versprechen belogen zu haben. So hatte er noch am 12. Juni erklärt, alle 3.900 Anträge von berufstätigen Eltern würden „voraussichtlich positiv“ beschieden. Die GAL will nun Akteneinsicht beantragen, weil es Hinweise gebe, dass Lange die katastrophale Finanzierungslücke damals längst bekannt war.
Die Senatsentscheidung, erst am Jahresende über Mehrbedarf zu befinden, sei eine „Ohrfeige für die Familien“, erklärt auch SPD-Politiker Thomas Böwer: „Anscheinend sind dem Senat die Familien egal.“ Eltern bräuchten „jetzt Antworten und nicht erst in acht Wochen“, mahnt auch ver.di-Vizechef Ulrich Meinecke. Und SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow fordert, die Lange vorgesetzte Lenkungsgruppe (siehe oben) solle nicht nur auf die Kompetenz der betroffenen Behörden zurückgreifen, sondern so schnell wie möglich mit Elternvertretern reden: „Die wissen am ehesten, wo die Probleme liegen.“
Seit gestern wissen diese auch, dass Gerichte keine Hilfe sind. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) wies die Beschwerde eines Elternpaares zurück, das für ihr Kind keinen Krippenplatz bekam. Der arbeitslose Vater wollte sich selbständig machen, die Mutter strebt ebenfalls eine Berufstätigkeit an. Der „Betreuungsbedarf“ entstehe nur, weil die Mutter „eine Berufstätigkeit ausüben“ wolle, sagt das OVG. Darauf sei die Familie, der auch Überbrückungs-, Kinder- und Erziehungsgeld zur Verfügung stehe, aber nicht angewiesen.
KAIJA KUTTER