: Keiner wollte das Debakel sehen
Beim Streit um die Beteiligung von Degussa am Bau des Holocaust-Mahnmals geht der schwarze Peter um: Dabei hat sowohl die Vizechefin des Kuratoriums der Stiftung, Lea Rosh, als auch ihre Geschäftsführerin Sibylle Quack versagt
von PHILIPP GESSLER
Das geplante Holocaust-Mahnmal steckt in der Sackgasse – und die Hauptverantwortlichen haben sich in einen absurden Streit verwickelt, wer die Schuld daran trägt: Ist es die Geschäftsführerin der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Sibylle Quack? Oder vielmehr die stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Bundesstiftung, Lea Rosh? Schon am Anfang der Debatte um die Degussa-Beschichtung für die Stelen des Mahnmals ging das Gerücht um, es gehe hier in Wahrheit darum, Sibylle Quack abzusägen. Zugleich gab es vergangene Woche erste Forderungen nach dem Rücktritt Lea Roshs. Wie konnte das alles passieren?
Das Debakel begann, als auf der Arbeitsebene zum Bau des Mahnmals Anfang des Jahres darüber diskutiert wurde, ob es schicklich sei, das Anti-Graffiti-Mittel von Degussa, Protectosil, zu verwenden. Der Grund für die Skrupel: Eine Firmentochter Degussas, Degesch, hatte in der NS-Zeit das Gas Zyklon B hergestellt, mit dem in den Gaskammern Millionen Juden umgebracht wurden. Nach Auskunft der Bauverwaltung wollte das Chemieunternehmen den Auftrag für die Stelenschutzschicht gern haben, ging sogar – auch wegen des Gefühls historischer Verantwortung – mit dem Preis runter, um zumindest nicht teurer zu sein als eine Schweizer Firma, die die Beschichtung ebenfalls vornehmen wollte.
Man entschied sich auf dieser Ebene für Protectosil – und hoffte offenbar, dass die ganze Degussa-Geschichte nicht auffliegt, zumal auch Architekt Peter Eisenman für dieses technisch vorteilhafte Produkt war. Am 14. Oktober enthüllte der Schweizer Tages-Anzeiger den Degussa-Deal. Sibylle Quack erkannte nun wohl die Brisanz der Angelegenheit und sicherte sich ab: Beim Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, versuchte sie offenbar, ein Votum für Protectosil zu bekommen, ebenso bei Eisenman. Sie telefonierte auch mit Lea Rosh, und zwar am 13. Oktober, einen Tag vor der Tages-Anzeiger-Veröffentlichung, zehn Tage vor der Kuratoriumssitzung, wo die ganze Angelegenheit zum großen Skandal wurde. Sibylle Quack war vor dem Telefonat mit der Journalistin Rosh von einem Mitarbeiter des Tages-Anzeigers auf die Degussa-Beteiligung angesprochen worden.
Lea Rosh behauptet nun, Sibylle Quack habe mit ihr nur allgemein über die Mitarbeit von belasteten Firmen gesprochen. Sicher sei sie nicht, dass der Name Degussa gefallen sei. Auf jeden Fall habe man nicht über Degesch und Zyklon B gesprochen. Sibylle Quack habe auch kein Wort über den Zusammenhang zwischen Degussa und Degesch verloren, sagt Lea Rosh – was genauso seltsam ist wie die Aussage von Sibylle Quack, man habe im Januar noch Recherchen zur Firmengeschichte von Degussa angestellt, um die Verwicklung des Unternehmens in den Judenmord zu erfassen. Offenbar haben weder bei Sibylle Quack noch bei Lea Rosh beim Namen Degussa die Alarmglocken geschrillt. Was umso merkwürdiger ist, als sich beide fast ihr gesamtes Berufsleben mit dem Holocaust beschäftigt haben.
Sibylle Quack hatte gepennt, weshalb einige nun ihren Kopf wollen. Lea Rosh machte sich bei der Kuratoriumssitzung am 23. Oktober zur Fürsprecherin der Gegner einer Beteiligung von Degussa – mit dem Empörungsgestus, der bei ihr üblich ist. Zugleich hat sie sich mit der geschmacklosen Aussage unmöglich gemacht, Architekt Eisenman würde vielleicht anders über Protectosil denken, wenn seine Eltern in Auschwitz mit Zyklon B vergast worden wären.
Sibylle Quack hat versagt, ebenso Lea Rosh, und Peter Strieder übrigens auch. Denn der Bausenator hätte über seine Verwaltung ja schon Anfang des Jahres durch die Informationen seiner Fachleute auf der Arbeitsebene wissen können, was da politisch droht. Doch offensichtlich wollte niemand sehen. Es herrschte das Motto „Augen zu und durch“. Nun ist rausgekommen: Auch der Betonverflüssiger für das Mahnmal stammt von einer Degussa-Tochter. So oder so ist also Degussa im Denkmal – es sei denn, man baut das ganze Fundament neu, was natürlich kaum zu machen ist.
So wird die Kuratoriumssitzung am Donnerstag wohl recht kleinlaut enden. Alle trugen das Ihre zum Desaster bei, Quack, Rosh und Strieder, in gewisser Weise auch Eisenman. Keiner hat die Chose allein verbockt, weshalb wohl auch niemand wird gehen müssen. Das deutsche Volk aber erhält das Mahnmal, das zu ihm passt: eine große Geste, mit winzigen Nazi-Spuren.