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Archiv-Artikel

Saving Private Lynch

Heute erscheint in den USA die Biografie einer „Kriegsheldin“ wider Willen: Jessica Lynch ist längst zum Spielball von Kommerz und Politik geworden

Schlimmer als der Krieg ist für Lynchdie PR-Maschineriedes Pentagons

von ARNO FRANK

Jessica Lynch, Soldatin einer Instandsetzungseinheit, wird am 23. März 2003 im Ausland in einen Auffahrunfall verwickelt, bei dem sie das Bewusstsein verliert und sich mehrere Knochen bricht. Gut eine Woche bleibt sie im Krankenhaus, bevor sie dort von ihren Kollegen abgeholt und heimgeflogen wird.

Im offiziellen Pentagon-Remix klingt das dann schon anders, da wird aus dem Teenager ein Rambo für die Freiheit. „Lynch (…) feuerte selbst dann weiter auf die Iraker, als sie schon unter mehreren Schussverletzungen litt und andere Soldaten ihrer Einheit sterben gesehen hatte“ – die Geschichte erschien am 3. April unter dem Titel „Sie kämpfte bis zum Tod“ in der Washington Post und basierte auf einem Bericht der Nachrichtenagentur Associated Press, die sich wiederum auf ebenso ominöse wie offizielle Stellen der US-Armee stützte. Zeitgleich zeigten Militärs Originalaufnahmen der spektakulären „Befreiung“ aus einem unbewachten Krankenhaus. Dass der Kameramann zuvor Assistent von Ridley Scott bei dessen Kriegsdrama „Black Hawk Down“ gewesen war, tat weiter nichts zur Sache, denn: Eine bessere Story werde es von diesem Krieg nicht geben, erklärte ein Mitarbeiter des Fernsehsenders NBC dem Fachblatt Daily Variety. Lynchs Rettung sei „erbaulich, heldenhaft, fesselnd und dramatisch“.

Der aus dieser fachmännischen Erkenntnis resultierende Fernseh-Thriller heißt „Saving Private Lynch“, basiere „auf einer wahren Geschichte“ und hatte bereits am 4. November in Los Angeles Premiere. Wo Kommerz, Patriotismus und Propaganda sich zum flotten Dreier treffen, wird sogar die Fiktionalisierung eines Stoffes entschlossener umgesetzt als seine Dekonstruktion zur puren Lüge.

Zwar mussten Washington Post und New York Times ihre Befreiungsgeschichte relativieren und sich fragen, inwieweit die US-Regierung selbst dem Mythos Vorschub geleistet habe – doch derlei professionelle Aufarbeitung war nicht annähernd so prominent platziert wie zuvor die Helden-Saga. Eine Saga, die nun mal in der Welt, im Fernsehen, in den Köpfen war – und für die der Verlag Alfred A. Knopf der armen Jessica einen Vorschuss von einer Million Dollar in den Gipsverband steckte.

Heute stellt Jessica Lynch, kaum genesen und noch immer auf Schmerztabletten, in den USA ihre Erinnerungen vor („I Am A Soldier, Too: The Jessica Lynch Story“). Bei David Letterman wird sie zu Gast sein und auch in anderen Talkshows wiederholen, was sie vergangene Woche erstmals zu Protokoll gegeben hatte: „Ich glaube nicht, dass es wirklich so passiert ist“ wie vom Pentagon dargestellt. „Sie haben mich als eine Art Symbol missbraucht.“

Das wäre dann sogar schon ein doppelter Missbrauch: Ihr Ghostwriter Rick Bragg, ein bei der New York Times wegen unsauberer Recherchemethoden gefeuerter Pulitzer-Preisträger, hatte unlängst verbreitet, die ohnmächtige Lynch sei von den Irakis vergewaltigt worden, ohne dies selbst bemerkt zu haben. Schlimm! Eine „Woche der Wahrheit“ brauchen weder Pentagon noch Regierung zu befürchten, da sich Lynch selbst glücklicherweise an nichts mehr erinnern kann. Was genau damals passiert ist, das kann sie sich inzwischen sogar auf Pornoseiten im Internet anschauen: „Bondage Jessica Lynch Rape Pictures“.