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Archiv-Artikel

Massenflucht nach Massaker in Uganda

Opferzahl der jüngsten Rebellenüberfälle steigt auf 100. Der Krieg im Norden Ugandas eskaliert ständig

BERLIN taz ■ „Sie töten ungefähr 20 Menschen jeden Tag“, sagte gestern Franco Ojur, Distriktchef von Lira im Norden Ugandas. Seit Mittwoch seien in der Region über 100 Leichen entdeckt worden – Opfer der jüngsten Überfälle der Rebellenbewegung LRA (Widerstandsarmee des Herrn), die im Norden Ugandas mit Unterstützung des Sudan gegen die ugandische Regierung kämpft. „Die meisten Leute sind aus den Dörfern geflohen, und wer bleibt, findet Leichen im Busch“, so Ojur.

Im schlimmsten Massaker der letzten Tage tötete die LRA in der Nacht zum Freitag 40 bis 60 Menschen in vier Dörfern des Bezirks Abako. Die Angreifer hätten Menschen die Köpfe abgeschnitten, berichtete ein eritreischer Missionar unter Berufung auf Augenzeugen; lokale Priester sprachen davon, dass zahlreiche Hütten mitsamt ihren Bewohnern in Flammen aufgegangen seien. 2–3.000 Menschen täglich strömen seitdem in die 100.000-Einwohner-Distrikthauptstadt Lira, meldete gestern die ugandische Tageszeitung New Vision.

Im Norden Ugandas lebt ohnehin kaum noch jemand außerhalb der großen Städte und spezieller Vertriebenenlager an deren Rändern. Nach der jüngsten UN-Zählung in der Region gab es Ende September 1.217.332 Binnenvertriebene – im Januar waren es noch 800.000 gewesen. In den Distrikten Gulu, Kitgum und Pader sind über 80 Prozent der Bevölkerung vertrieben. Ihre gigantischen Lager sind schlecht versorgt und werden von der Armee schlecht geschützt.

Die LRA ist seit Ende der 80er-Jahre im Norden Ugandas aktiv und rekrutiert sich aus dem Acholi-Volk, das sich vom Regime des Präsidenten Yoweri Museveni benachteiligt fühlt. Sie macht durch die Entführung und Zwangsrekrutierung von Kindern von sich reden – 10.000 allein seit Mitte 2002, so UN-Stellen. Ihr Führer Joseph Kony hatte jahrelang seine Rückzugsgebiete in Gebieten des Sudan unter Kontrolle des dortigen Militärregimes. Wiederholte ugandische Offensiven im Sudan haben die Rebellen lediglich nach Uganda hineingetrieben.

Dieses Jahr hat die LRA ihren Aktionsradius auf den bislang relativ friedlichen Osten Ugandas ausgedehnt. So sind im Distrikt Teso seit Juli 300.000 Menschen vertrieben worden. Das Militär hat dort eine Miliz namens Arrow Boys aufgestellt, um die Region gegen die LRA zu verteidigen. Da diese sich vor allem aus der Iteso-Ethnie rekrutiert, wachsen nun Befürchtungen, dass Norduganda ähnlich wie die Nachbargebiete des Kongo in einer Reihe von Kleinkriegen zwischen Milizen versinken könnte.

Wiederholte Appelle lokaler Führer an beide Seiten, internationale Friedensvermittlung zu akzeptieren, stoßen bislang auf taube Ohren. Stattdessen fühlt sich die Armee gestärkt, seit die USA ihr im Oktober Militärhilfe im Kampf zusagten. Daraufhin meldete die Regierung eine Reihe von Erfolgen gegen die LRA in Teso und warnte, die Gruppe ziehe sich nun nach Lira zurück. Dort sind nun auch die jüngsten Überfälle geschehen. Sie werden in ugandischen Medien als Rache für den Tod des zweitwichtigsten LRA-Führers Charles Tabuley dargestellt, der am 29. Oktober in Teso getötet worden war.

DOMINIC JOHNSON