: Der Immerwiedergänger
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Friedrich „Lincoln“ Merz
Er war immer ein Rebell, der sein beißendes Wort in jede Debatte warf. Ein Aufrührer, der sich nicht scheute, selbst in der eigenen CDU die glühendsten Eisen aufzuwerfen, an denen andere sich die Kastanien verbrennen. Er, Friedrich Merz, genoss es, wenn ihm der Sand Steine ins Gesicht blies, denn ihm ging es um höhere Werte, aber auch um Deutschland. Im Oktober 2000 entdeckte er, dessen Großvater als Bürgermeister im sauerländischen Brilon für Sitte, Zucht und Ordnung den braunen Hintern geschwungen hatte, die deutsche Leitkultur wieder. Zwei Monate später wandte er sich gegen fremde Kopftücher an deutsch geborenen Schulen und bekannte sich zur Deutschlandhymne, die er vom Herzen bis zur Hose voll bejahe. Seit dieser Zeit forderte er auch die Verringerung des Ausländers, wozu der christlich-katholische Familienvater drei reinrassige Töchter beisteuert.
Der Unionspolitiker Merz sorgte sich aber nicht nur um seine Kultur. Auf der Überzeugung reitend, dass Deutschland auf zu hohem Fuß lebe, wollte er die ökonomische und soziale Hängematte komplett umkrempeln. Er ersann eine Finanzreform, die es jedem anheim stellt, seine Steuerschuld an der Nasenspitze abzulesen, ersonn eine Rentenreform, die den Versicherungskonzernen im Alter hilft, und ersunn immer neue Vorschläge, um die Sozialausgaben kurz und klein zu machen. Er befahl mehr Arbeit von den Arbeitslosen, wenn sie essen wollen, ging die Gewerkschaften an, sich aus den Arbeitnehmern zurückziehen, und wollte, dass der Kündigungsschutz zum Kehricht kommt. Als Abraham Lincoln aus dem Sauerland war er angetreten, den Wirtschaftsstandort Deutschland aus der Versklavung durch seine Einwohner zu befreien.
Bei Merz, der ganz ernsthaft, wie es seine Art ist, am 11. 11. 1955 im genannten Brilon seine politische Laufbahn lautstark begann, waren schon in der Pubertät die Dämme geplatzt. Friedrich, dessen Nacken zuvor bis zum Haarwirbel ausrasiert war, ließ plötzlich die Zotteln millimeterlang wuchern und wurde in der Familie nur noch „Rübezahl“ genannt. Er ritt auf dem Mofa zur Schule, paffte Zigaretten (ohne Lunge), trank heimlich Bier (verdünnt) und schien zum Gammler werden zu wollen. Doch schon damals meuterte er gegen die eigene Clique. Er trat der Jungen Union bei, denn der Widerständler erkannte, dass die Altachtundsechziger Wirtschaft, Wohlstand und Leistungsdenken knacken und alle Autoritäten durchlöchern wollen. Nach dem Abitur riss der Nonkonformist daher seinen Wehrdienst ab, ohne aber je seine Meinung hinter dem Berg zu halten; zufällig hatte er dieselbe wie der Kompanieführer. Dann studierte der Sohn eines Richters nicht etwa Soziologie wie die regierenden Roten, sondern das Recht, genauer gesagt, bloß Jura und ergriff die Anwaltsrobe.
Um die deutsche Politik aber schlug er zunächst einen Haken. Die Kohl-Ära war ihm zu breit, denn der schlanke, hagere und spitze Merz litt keinen fetten Konsens. Zunächst übte der Politpennäler seit 1989 im Europaparlament; erst 1994, die Kohlzeit verdampfte allmählich, schlängelte er sich in den Bundestag, wo er sich für den Finanzausschuss meldete und im Fach Wirtschaftskunde Referate hielt. Sechs Jahre später schlug für ihn die Maturaprüfung, als im Zuge des Spendenskandalons die scheckheftgepflegte CDU zerfleddert wurde, Kohl zerplatzte und auch Schäuble verpuffte. Am 29. 2. 2000 brachte Merz den Posten des Klassensprechers und Fraktionsvorsitzenden unter die eigenen Backen.
Aber schon im Sommer musste der offenkundig ewige Oberschüler Merz eine wuchtige Niederlage durch Direx Schröder eintüten, als dessen Steuerreform unangemeldet mehrere CDU-Stimmen im Bundesrat zuflossen. Auch Merz‘ Plan, die Ausländer zum Wahlkampfthema aufzublasen, musste zurück in den Kropf. Zum großen Bums kam es am 24. 9. 2002: Mit Stoiber im Rücken und einigen CDU-Ministerpräsidenten unter dem Arm warf Angela Merkel den überrumpelten Merz vom Podium und steckte sich den Fraktionsvorsitz an die eigene Bluse.
Trotz des Trostpflasters, seine Teile unter den Tisch im CDU-Präsidium schieben zu dürfen, steht Merz die Merkel seither bis ultimo. Und seit die Gefahr brodelt, dass bei einem Wahlsieg 2006 der Superminister für Wirtschaft, Finanzen, Arbeit, Geld und alles nicht Merz heißt, sondern Stoiber; als ihm oben dämmerte, dass ihm die anderen Meistergesellen R. Koch und C. Wulff längst die Hacken präsentieren, ging ihm der Bock flöten, und Merz ließ am 12. 10. 2004 seinen Rückzug aus den Ämtern in Partei und Fraktion an die Wand malen.
Gewiss, vermutlich hofft Merz, dass weitere christunierte Schlachtpferde nun Angela Merkel in die Flanken beißen, bis sie das Handtuch verkündet. Gewiss, wahrscheinlich träumt Friedrich Merz von seiner Rückkehr in die steile Politik, sobald Merkel reif ist. Wer weiß, womöglich schon in den nächsten Sternen … – Pardon: Wochen.
PETER KÖHLER