: Vertrauen ist weg
Die verunsicherten Fans des BVB schmähen nach dem 0:2 gegen den Hamburger SV die verunsicherten Spieler
DORTMUND taz ■ Einmal im Jahr reisen acht Fußballfans aus Rotterdam nach Deutschland, um sich ein Spiel der Bundesliga anzusehen. Es stand schon des längeren fest, dass ihr Ziel in dieser Saison Dortmund sein würde, weil dort ihr ehemaliger Trainer Bernd van Marwijk seit dem Sommer tätig ist. Kann man schon die Wahl des Ortes kaum glücklich nennen, so bewiesen die Holländer dann auch noch ein schlechtes Gefühl für den rechten Zeitpunkt, denn sie standen ausgerechnet im Westfalenstadion, als die Borussia gegen den Hamburger SV mit 0:2 verlor. Ohne diesen jungen Männern Böses nachsagen zu wollen, muss man einflechten, dass sie vor Jahresfrist den 1. FC Köln heimgesucht hatten, der die Spielzeit dann als Absteiger abschloss.
Genau dieses Schicksal droht nun auch dem BVB – und wer das für eine voreilige oder übertriebene Darstellung hält, hat keine Ahnung vom Ausmaß des Dramas um Borussia Dortmund. In dem spielt Geld nämlich nur eine Nebenrolle. Folgenreicher ist, dass sich scheinbar auf allen Etagen des Gebildes mit Namen BVB eine Atmosphäre des Zweifelns und Verdächtigens virengleich ausgebreitet hat, die am Samstag schließlich auch jene im Erdgeschoss für alle sicht- und hörbar befiel, nämlich die Spieler und die Fans. „Wir waren sehr unruhig und unsicher“, erklärte van Marwijk die konfuse Leistung seiner Elf, aber die Worte hätten auch auf das Publikum gepasst. „Wir müssen ehrlich sein: Das sitzt alles zu tief. Das Vertrauen ist weg“, fuhr der Trainer fort. Er meinte das Selbstvertrauen seiner Spieler, hatte aber in mehr als bloß dieser Hinsicht Recht.
Schon nach 70 Minuten, bei einem Rückstand von nur einem Tor, sangen die Dortmunder Fans in einer sakralen Stimmlage: „Aber eins, das bleibt bestehen, Borussia Dortmund wird nie untergehen“. Fünfzehn Sekunden später fiel das 0:2 durch David Jarolim. Auch der Ruf „Zweite Liga, Dortmund ist dabei“ kam nicht etwa aus dem Hamburger Fanblock, sondern von der schwarz-gelben Südtribüne. Und als das Spiel schon lange vorbei war und die Journalisten auf die BVB-Profis warteten, schickten die ihren Kapitän Christian Wörns auf eine Solo-Mission als Rede-und-Antwort-Maschine. Das taten sie aber nicht aus Feigheit, sondern um in Ruhe zu entscheiden, wer vor die hunderte von Fans treten sollte, die mehrere Ausgänge des Stadions blockierten. Einer der Abgesandten war Sebastian Kehl. Nachdem er zunächst fliegenden Bierbechern ausweichen musste, fragte er: „Wollt ihr uns jetzt verprügeln oder was?“
Hatte die Borussia so schlecht gespielt? Natürlich. Mit dem 0:1 durch Emile Mpenza war die Partie eigentlich schon entschieden, denn die Elf des BVB ist ganz offensichtlich nicht mehr in der Lage, strukturiert zu handeln und so etwas wie Schwung zu entwickeln. Aber ist das ein Wunder, wo es doch dem gesamten Klub so geht? Lange haben Team und Trainer geleugnet, dass ihre Augen nicht nur auf den Ball, sondern auch auf die Zeitungen gerichtet sind. Am Samstag dann ging van Marwijk zum ersten Mal auf „die Geschichten rund um den Verein“ ein, und Dede sprach von „zu viel Druck“. Letzteres zielte vielleicht in Richtung des designierten neuen Präsidenten Reinhard Rauball, der vor dem Spiel die Parole „Sieg oder Blut am Pfosten“ ausgegeben hatte. Was im besten Falle zeigt, dass auch Rauballs Gemütslage schon nach kurzer Zeit bei Borussia Dortmund einen kritischen Punkt erreicht hat.
Es gab also mildernde Umstände für die Niederlage des BVB-Teams. Das wussten natürlich auch die Fans, trotzdem sah es einen Moment so aus, als würden sie Kehls rhetorische Frage handgreiflich beantworten. Ihnen bleibt einfach kein anderes Feindbild. Solange selbst auf den Entscheidungsebenen des Klubs niemand die Verantwortung für die Lage übernimmt und niemand weiß, wer gegen wen intrigiert, können auch die Anhänger nur im Nebel stochern.
„Wir müssen ganz neu anfangen“, sagte van Marwijk. „Wir müssen kämpfen, jetzt aber vernünftig.“ Das waren zwei weitere seiner vielen guten Sätze an diesem Samstag, an dem die Lage in Dortmund eskalierte. Es war übrigens auch der Geburtstag des fast zwei Jahrzehnte lang so starken Mannes beim BVB, Dr. Gerd Niebaum.
ULRICH HESSE-LICHTENBERGER