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Archiv-Artikel

„An jedwedem Ort, wo sich Kinder aufhalten“

Oliver Knecht, Dezernatsleiter für Sexualdelikte im Landeskriminalamt, über die Szene der Pädosexuellen in Berlin und das Problem der Polizei, frühzeitig einzugreifen. „Der klassische Täter ist auch den Eltern in der Regel bekannt“

taz: Herr Knecht, jetzt wurde bekannt: Im Juni wurde eine Gruppe Pädosexueller ausgehoben, die Kinder in eine Wohnung in der Leipziger Straße lockte und sie dort über einen längeren Zeitraum missbrauchte. Ist die Gruppe ein Einzelfall?

Oliver Knecht: Wir müssen davon ausgehen, dass es derartige Übergriffe öfters gibt. Wir haben allerdings keine Anhaltspunkte dafür, wie verbreitet diese Form von Missbrauch ist. In den Anzeigen spiegelt sich eine Häufung nicht wider. Die Täter bemühen sich natürlich, derartige Vorfälle zu tarnen und Einfluss zu nehmen auf die Kinder, damit sie nichts erzählen.

Wie funktioniert die Szene der Pädosexuellen in Berlin?

Männer mit pädosexuellen Neigungen sind oft vernetzt, wie auch die Beschuldigten der Leipziger Straße. Wenn ein Pädosexueller an ein Kind herankommen will, dann ist es normal, dass er sich mit anderen Pädosexuellen austauscht, nicht zuletzt um zu schauen, ob er einen guten Tipp bekommen kann. Wir haben in anderen Fällen auch erlebt, dass die Kinder von einem zum anderen weitergereicht wurden.

Gibt es Frauen in der Szene?

Bei sexuellen Übergiffen von Mitarbeitern in Betreuungseinrichtungen dürften Frauen durchaus eine Rolle spielen. Obwohl die Masse der Täter immer Männer sein werden. Pädosexuelle suchen sich häufig eine berufliche Tätigkeit, bei der sie mit Kindern arbeiten. Da besteht die Gefahr des Missbrauchs der Jungen und Mädchen durch Betreuer oder eben Betreuerinnen. Solche Fälle hatten wir bereits.

Gibt es in Berlin Brennpunkte besonders häufiger pädosexueller Übergriffe?

Nein, das kann man nicht sagen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass jedweder Ort, an dem sich Kinder erwartungsgemäß aufhalten, also Kinderspielplätze, Computerabteilungen von Kaufhäusern oder das Umfeld von Fastfood-Ketten, auch Pädosexuelle anzieht.

Eine so genannte Berliner Selbsthilfegruppe von Pädosexuellen, die AG Pädo, wirbt auf ihrer Homepage offen für die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern.

Diese Forderung an sich ist nicht strafbar, sondern eine freie Meinungsäußerung. Wir überprüfen in solchen Fällen, ob Straftaten vorliegen oder ob die Gefahr besteht, dass zukünftig Straftaten begangen werden. Wenn nicht, können wir nichts tun.

Laut ZDF-Recherchen hat ein Mitglied der Gruppe tatsächlich über einen längeren Zeitraum einen Jungen missbraucht. War das nicht abzusehen?

Man kann einem Pädosexuellen nicht unterstellen, dass er seine Neigungen auslebt. Nur wenn eine Straftat begangen wurde oder begangen werden soll, dürfen wir etwas unternehmen. Da sind uns vom Gesetz die Hände gebunden. In den letzten Monaten gab es eine Änderung im so genannten Berliner Gefahrenabwehrrecht. Früher konnten wir auch bei bestimmten Vergehenstatbeständen zur Gefahrenabwehr frühzeitig eingreifen. Unter diese Sparte fällt in der Regel auch sexueller Missbrauch von Kindern. Für eine längerfristige Observation zum Beispiel müssten wir heute beweisen, dass nicht nur ein Vergehens-, sondern ein Verbrechenstatbestand erfüllt wird. Das ist bei sexuellem Missbrauch von Kindern meist nur schwer möglich.

Halten Sie die momentane Gesetzgebung für angemessen?

Die Änderung im Gefahrenabwehrrecht halte ich gerade für unseren Bereich für sehr problematisch. Auf politischer Ebene kann man natürlich beschließen, die Eingriffsbefugnisse der Polizei einzuschränken. Das wirkt sich jedoch auch auf unsere Präventionsarbeit aus.

Was können Eltern tun, um ihre Kinder zu schützen?

Wenn die Eltern einen Verdacht haben, dann sollten sie nicht nur das Kind fragen, ob etwas vorgefallen ist. Die Täter setzen ihre Opfer mit Schuld- und Schamgefühlen unter Druck, damit sie nichts erzählen. Die Eltern sollten den Betreffenden selbst ansprechen oder sich an das Jugendamt, an eine Beratungsstelle oder an die Polizei wenden. Man darf sich nicht täuschen. Der klassische Täter ist auch den Eltern in der Regel bekannt. INTERVIEW: ANTJE LANG-LENDORFF